Die Bedingungen für
unseren weiteren Weg nach Samdo erscheinen an diesem Tag nahezu
ideal. Blauer Himmel und klare Bergsicht versetzen in freudige
Aufbruchsstimmung. Vor uns liegt eine etwa dreistündige Wanderung,
die uns weiter über das karge Hochplateau und zum Schluss ein Stück
weiter aufwärts zu dem kleinen Weiler Samdo. Diese Siedlung, die nur
während der Trekking-Saison bewohnt ist, besteht in erster Linie aus
Unterkünften und kleinen Ladengeschäften für Touristen.
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Auf dem Weg nach Samdo. |
Obwohl die heutige
Wanderung an sich kaum eine große Herausforderung darstellt, wird
sie für mich zu einer der härtesten auf unserer bisherigen Tour.
Gestern Abend habe ich mir in unserer Unterkunft einen Fried-Rice mit
Ei zum Dinner bestellt. Dass das keine meiner besten Ideen war,
bemerke ich bereits ein paar Minuten später, als mein Mageninhalt
wie eine Waschmaschinenladung zu rotieren beginnt. Die folgende Nacht
darf ich mich dann schlaflos und Magen- und Darmkrämpfen beglückt
in meinem Schlafsack wälzen. In regelmäßigen Abständen darf ich
mich mit Stirnlampe nach draußen begeben, über den eiskalten Hof
schleichen und die Toilette aufsuchen. Sowohl zum Vorder- als auch
zum Hinterausgang wird sich reichlich entleert. Als ich dann am
nächsten Morgen gegen 5 Uhr aus meinem Bett aufstehe, fühle ich
mich ungefähr wie Stalingrad 1942.
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Ausflug zur tibetischen Grenze. |
Als ich den
Verantwortlichen der Unterkunft höflich bitte, das verdorbene
Eiergericht nicht auf die Rechnung zu schreiben, schaut er mich an,
als wäre ich nicht da und schüttelt teilnahmslos mit dem Kopf. Ich
möchte an dieser Stelle einen freundlichen Ratschlag loswerden:
Solltet ihr jemals nach Samagaon kommen, meidet die große Lodge mit
der violetten Wandfarbe und verzichtet auf Eier und andere leicht
verderbliche Lebensmittel. In dieser Höhe verfügen die Leute meist
nicht über adäquate Kühlmöglichkeiten.
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Wasteland. |
Der Marsch fühlt sich
dementsprechend wie eine Strafexpedition an. Übernächtigt,
geschwächt durch den permanenten Energieverlust und begleitet von
ständigen Darmkrämpfen schleppe ich mich wie eine Figur aus einem
Zombie-Horrorfilm über die Bergpfade. Mehr als einmal muss ich dem
Druck nachgeben, meinen Rucksack abwerfen, das Klopapier hervorholen
und mir einen einsamen Busch suchen. Obwohl ich einen großen Teil
meiner Konzentration darauf verwenden muss, mir während des Laufens
nicht in die Hosen zu machen, genießt ein anderer Teil von mir die
malerischen Ausblicke auf die umliegende Bergkulisse und die stille
Kargheit der Landschaft. Dennoch bin ich nicht wenig erleichtert, als
wir die Unterkunft in Samdo erreichen und ich mich auf das
Krankenlager begeben kann. Dort döse ich delirierend die nächsten
Stunden vor mich hin, trinke Elektrolyte-Lösung und Pfefferminztee
und renne alle 20 Minuten auf die zugige Toilette, die durch einen
undichten Wasserhahn permanent überschwemmt ist. Irgendwann rinnt
nur noch Flüssigkeit durch meinen Verdauungstrakt und das Gift
scheint nach und nach aus meinem Körper gespült zu werden. Eine
eigenartige innere Klarheit und Präsenz tritt ein, die vielleicht
der Höhe, vielleicht der Leere in Magen und Darm oder vielleicht
meiner Einbildung geschuldet ist. Jedenfalls fühle ich in diesen
Momenten eine tiefe Gelassenheit und Distanz zu meiner Person und
meinen Gedanken, so als würde ich einen absurden Film anschauen. Zum
Abendessen rumort es zwar noch immer im Darm, allerdings fühle ich
wieder Lust zu essen. Ich bestelle mir aus lauter Übermut eine
Knoblauch-Suppe. Wer sich gerade denkt: 'so ein Trottel', hat
unbestritten Recht. Denn die folgende Nacht erwarten mich wieder
einige außerplanmäßige Sitzungen.
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Blue Sheep im Hintergrund. |
Der nächste Tag dient
dann zur Akklimatisierung und bietet Raum für einen weiteren
Ausflug, der uns dieses Mal hoch hinauf bis an die tibetische Grenze
führen soll. Das Wetter wirkt einladend an diesem Morgen und auch
mein Verdauungstrakt hat sich bis zu einem erträglichen Maß hin
beruhigt, so dass ich beschließe, mich Marvin und Ishuwar auf dem
fordernden Weg zur Grenze anzuschließen. Obwohl der Rucksack für
diesen Tagesmarsch deutlich weniger wiegt als sonst muss ich doch
bald feststellen, dass ich mir zu viel vorgenommen habe. Mein
ausgelaugter Körper ist den Strapazen einer über siebenstündigen
Wanderung bis rauf auf fast 5000 Metern nicht gewachsen. Mit meinen
Gefährten, die zügig voran-preschen, kann ich in keinster Weise
Schritt halten. So trete ich also den vorzeitigen Rückzug an. Ein
einprägsames Erlebnis ist dieser Marsch aber trotzdem. Die
Landschaft ist unwirtlich, zerklüftet und von Felsen und Geröll
bedeckt. Ein kleiner Fluss schlängelt sich hindurch. Die Farben
Braun, Grau und Schwarz dominieren, gelegentlich dekoriert mit weißen
Tupfern. Unterwegs begegnen mir neben den allgegenwärtigen Yaks auch
eine Art von Murmeltier und eine seltene Form von Wildtieren (genannt
'Blue Sheep' wegen ihrer blauen Zungen), die wie eine Mischung aus
Reh und Bergziege aussieht.
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Ein murmelndes Tier. |
Während ich also
kapitulieren musste, haben es Marvin und Ishwuar tatsächlich bis zur
tibetischen Grenze und heil wieder nach unten geschafft. Eine starke
Leistung, die auf jeden Fall Respekt verdient. Ob die Spuren, die Marvin dort oben entdeckt hat, nun tatsächlich vom legendären Schneeleoparden oder doch nur von einem großen Hund stammen, konnte nicht abschließend geklärt werden.
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Marvin und Ishwuar an der Grenze. (by Marvin Maurer) |
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Schneeleopard, Yeti oder Waldi? (by Marvin Maurer) |
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