Die Überquerung des
Larke-Passes ist in mehrfacher Hinsicht ein herausragendes Ereignis
auf unserer Trekking-Tour rund um das Manaslu-Massiv. Zum Einen
erreichen wir mit 5106 Metern den höchsten Punkt. Wir laufen
teilweise nachts. Mit 8-10 Stunden sind wir an diesem Tag mit am
längsten unterwegs. Außerdem sind die Bedingungen, was Höhe und
Witterung anbelangt, im Vergleich zu den Etappen zuvor deutlich
extremer. Es erwartet uns ein strammer Aufstieg um etwa 600
Höhenmeter nach oben und direkt danach ein sehr langer
kräftezehrender Abstieg um ca. 1500 Höhenmeter. Für mich hält der
Tag noch eine weitere Herausforderung bereit.
Sonnenaufgang. |
Ich erwache in der Nacht
früher als beabsichtigt und spüre meinen Darm. Er teilt mir mit
Gluckern, Brodeln und einem starken Gefühl von Aufgeblähtheit mit,
dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Noch am Tag zuvor war ich enorm
erleichtert, dass ich nach unserer Ankunft in Dharmasala keine
Verdauungsbeschwerden mehr gefühlt habe und der 'Worst-Case' (mit
Durchfall über den Pass) vermeintlich nicht eintreten würde. Nun
wurde ich offenbar eines Besseren belehrt. Dennoch versuche ich
gelassen zu bleiben und beobachte für einige Minuten die
Empfindungen in meinem Unterleib, bevor ich mich aufsetze, meine
Stirnlampe einschalte, die bereits am Vorabend zurecht gelegten
Sachen verstaue und mich samt Rucksack und Wanderstöcken aus dem
Zelt schäle. Die Nacht ist ruhig, sternenklar und eiskalt. Ein
schneidender Wind bläst mir ins Gesicht. Der Schnee liegt inzwischen
fast auf der Höhe meiner Knie. Die anderen sind bereits beim
Frühstück. Schon auf dem Weg zur Hauptbaracke fühle ich einen
alarmierenden Darmkrampf. Mein Körper will mir mitteilen, dass etwas
dringend raus muss. In der Hauptbaracke angekommen lege ich
schnellstmöglich meinen Rucksack ab und krame die Klopapierrolle
hervor. Gerade so schaffe ich es noch mich auf die eisig-finstere
Toilette zu flüchten.
Immer nach oben. |
Leicht gequält. |
Beim Frühstück bekomme
ich kaum einen Schluck Haferschleim hinunter. Ich lasse ihn zur
Hälfte stehen. Seltsamerweise kommt mir die Option, es mit der
Überquerung heute Nacht bleiben zu lassen, gar nicht in den Sinn.
Alle sind fertig zum Aufbruch. Marvin läuft bereits mit Dipar
voraus. Ishwuar wartet noch auf mich. Ich suche die Tabletten, die
den Durchfall vorübergehend stoppen sollen, kann sie aber nicht
auftreiben. Bevor wir losmarschieren muss ich mich noch einmal
entleeren. Mein Energielevel ist irgendwo sehr tief unterirdisch und
das über Nacht halb gefrorene Trinkwasser reizt zusätzlich meinen
Magen. Kurzum, ein wundervoller Morgen für eine Pass-Überquerung!
Die weiße Felswüste. |
Noch in der Dunkelheit
begeben wir uns auf den etwa vierstündigen Aufstieg zum
Larke-La-Pass. Gute 600 Höhenmeter sind zu bewältigen, wobei es mal
flach und mal steil bergauf geht, unterbrochen von einigen
relativ-ebenen Abschnitten. Das Schneetreiben vom gestrigen Tag hat
sich zwar gelegt, allerdings liegt die Landschaft nun unter einer
dichten, weißen Decke begraben. Da schon einige Wanderer vor uns
aufgebrochen sind und die Route eröffnet haben, können wir ihrer
Schneise durch den frischen Schnee folgen, was die Wegfindung
erheblich vereinfacht. Die Sterne leuchten am Himmel, in der Ferne
lassen sich schon subtile Anzeichen des jungen Morgens erahnen, weiß
und stumm ragen die Bergmassive um uns herum in die Höhe und ich
muss mich schwer konzentrieren, mir nicht in die Hose zu machen. Die
kommenden Stunden werden zu einer großen körperlichen und geistigen
Herausforderung für mich. Mehrmals muss ich auf dem Weg nach oben,
dem Druck in meinen Eingeweiden nachgeben, die Klopapierrolle
hervorholen und durch den Schnee waten, um mir ein stilles Plätzchen
abseits des Pfades zu suchen. Minusgrade, schneidender Wind, unebenes
Terrain und der Umstand, dass ich vier Lagen Kleidung am Unterleib
trage, machen die Prozedur nicht eben zu einer Wohltat.
Oben. |
Jede Entleerung raubt dem
Körper wertvolle Energie, der benötigt, um in diese Höhen
aufzusteigen, für die er eigentlich nicht geschaffen ist. Die
Atemluft wird dünner und dünner, der Rucksack gefühlt immer
schwerer und der Wind nimmt an Intensität zu. Das Licht der
aufgehenden Sonne spendet etwas Wärme und Energie und taucht die
umliegenden Gipfel in ein zart-rosafarbenes Licht. Allerdings fügt
der Sonnenaufgang auch eine weitere Härte hinzu. In dieser Höhe
knallt die Sonne wie durch ein Brennglas auf uns Wanderer hinunter
und ihre Strahlen werden von der kristallenen Schneeoberfläche
millionenfach reflektiert. Der Anblick ist derartig stechend, dass
man ihn ohne Sonnenbrille nicht erträgt. Genauso verbrennt die Haut
innerhalb von Minuten, wenn man sie schutzlos den Sonnenstrahlen
aussetzt. Man läuft wie durch eine weiße Felswüste, die
schmerzhaft schöne Panoramen bietet. Es fühlt sich ein bisschen so
an, als wäre man als Raumfahrer auf einem fremden, lebensfeindlichen
Planeten gestrandet.
Der Ritter der Klopapierrolle. |
Der Aufstieg zieht sich
lange hin und je näher wir unserem vorläufigen Ziel kommen, desto
langsamer werde ich. Jeder Schritt wird zu einem kleinen Kraftakt und
gefühlt alle 50 Meter bleibe ich stehen, unterdrücke meine
Darmkrämpfe und mache einige tiefe Atemzüge. Während ich nach
außen hin, nur sehr wenige, verbale Beschwerden von mir gebe, ertönt
in meinem Bewusstsein ein ganzer Chor aus sich beklagenden Gedanken.
Besonders häufig richten sie sich gegen die Verantwortlichen für
das 'Egg-Fried-Poison' in Samdo, denen biblische Vergeltung an den
Hals gewünscht wird. Andererseits bin ich mir in jedem Augenblick
bewusst, dass auch dieser Zustand sich ändern wird und ich eines
Tages herzhaft über diese Komplikation lachen werde, die meinem
Trekking-Erlebnis nochmal eine zusätzliche Würze verliehen hat.
Ishwuar indes wartet geduldig auf mein Vorwärtskommen. Ihm selbst
scheint der Marsch nicht allzu viel abzuverlangen.
Mit Ishwuar. |
Nach einer gefühlten
Ewigkeit kommt schließlich das bunt-beflaggte Ziel in Sicht, was
einen weiteren Motivationsschub in mir auslöst. Die letzten Meter
werden im Zeitlupen-Tempo bewältigt und unter massivem Einsatz der
Trekking-Stöcke zur Entlastung der Beine. Das Erste, was die meisten
anderen tun, die hier oben ankommen, ist für zahllose Fotos vor der
offiziellen Höhenmarkierung posieren. Das erste, was ich hier oben
auf 5106 Metern als Erstes tue, ist (man verzeihe mir die
Ausdrucksweise: Scheißen gehen.
Schwere Lasten beim Abstieg. |
Danach geht es mir auch
auf wundersame Weise wieder besser. Die Turbulenzen nehmen ab, ich
kann ein paar Kekse und Trockenfrüchte zu mir nehmen, posiere für
ein paar Fotos, unterhalte mich mit Magda, Thomas und Bal, die ein
paar Minuten vorher angekommen sind. Marvin und Dipar sind in ihrem
Feuereifer bereits weiter marschiert. Ishwuar zündet sich vollkommen
unbeeindruckt auf über 5000 Metern Höhe eine Zigarette an und
inhaliert genüsslich den Rauch, wo andere kaum richtig atmen können.
Abstieg nach Bhimtang. |
Lange Zeit können wir am
Larke-La-Pass nicht verweilen. Wenn man aufhört sich zu bewegen,
wird einem sehr schnell kalt, und so sind wir gezwungen, in Bälde
den Abstieg nach Bhimtang in Angriff zu nehmen. Wer selbst bereits
des Öfteren in den Bergen wandern war, weiß, dass solche Abstiege
oft anstrengender und nervenzehrender sind als die Aufstiege. In
unserem Fall ist der steile Pfad nach unten von einer eingestampften
und rutschigen Schneeschicht bedeckt, auf der man sehr leicht die
Balance verliert (zumindest als Europäer, die Nepalesen sind in
dieser Hinsicht vergleichbar mit Bergziegen). Ebenso langsam wie es
hinauf ging, geht es nun auch wieder hinunter. Die 1500 Höhenmeter
abwärts bis ins Tal gestalten sich außerordentlich zäh. Trotz
standhafter Versuche, die Konzentration zu wahren, lande ich mehr als
einmal im Schnee und verbiege dabei einen meiner Wanderstöcke. Nach
gut 10 Stunden Wanderschaft erreichen wir Bhimtang am Nachmittag,
kurz bevor nasskaltes Wetter einsetzt und es anfängt zu regnen. Auch
an Marvin ist der Marsch nicht spurlos vorübergegangen. Während des
Abstieges hat er sich eine leichte Zerrung am Knie eingefangen.
Dennoch haben wir es alle zusammen, halbwegs heil über den Pass
geschafft und dürfen uns nun ein bisschen freuen. Wir sind am Leben,
können noch jammern und unseren Enkeln voller Stolz von unseren
glorreichen Verdauungsbeschwerden berichten.
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