Dienstag, 16. Oktober 2012

Ankunft in der neuen Welt

Ich bin nun seit mehr als einer Woche in der Fremde, jedoch kommt es mir vor wie ein ganzer Monat.
Allein am ersten Tag wurde ich mit derartig vielen Eindruecken bombardiert, dass ich schier zu platzen drohte. Zuerst schien es als wuerde jener erste Tag nach meiner Ankunft ereignislos zu Ende gehen. Es war eine lange und auslaugende Reise gewesen und ich dachte nur noch daran, den Schlaf nachzuholen, den ich in der Oman-Air-Holzklasse versaeumt hatte.

Landeanflug auf Sri Lanka.


Ungeduldig und dem Himmel sei Dank: unbehelligt passierte ich Pass- und Zollkontrolle, holte mein Gepaeck und marschierte schwerbeladen in die Ausgangshalle, wo ich mein Barvermoegen von 200 Euro in etwa 32000 Sri-Lanka-Rupien wechseln liess. Ich stopfte mir das dicke Geldscheinbuendel notduerftig in die Hosentasche und hielt nach Premadasa, meinem kuenftigen Gastgeber Aussschau.
Schliesslich fand ich ihn und moechte fast von makaberem Glueck sprechen, dass ihn eine Polio-Erkrankung in frueher Kindheit gezeichnet hatte, denn ohne seine Kruecke haette ich ihn nicht erkannt. Die wartenden Singhalesen im Ausgangsbereich schienen mir eine homogene Masse zu sein.
Mittlerweile aber durfte ich feststellen, dass sie phaenotypisch beinahe ebenso verschieden sind wie die Mitteleuropaer, nur dass in Sachen Haar-, Haut- und Augenfarbe deutlich weniger Spielraum besteht.
Premadasa fuehrte mich aus dem Flughafen nach draussen ins Freie. Ich war um 16:30 Uhr Ortszeit angekommen, zu spaet um  noch in sein Dorf in der Naehe von Galle aufzubrechen. Wir wuerden die Nacht bei einem Freund Premadasas in Colombo verbringen, der dort eine Behindertenkommune
leitet. Wie hypnotisiert folgte ich meinem Gastgeber, nahm die grundfremde Umgebung noch kaum wahr, hatte nicht ansatzweise realisiert, dass ich jetzt in Sri Lanka war. Er brachte mich zu einem Tuk-Tuk, wo uns bereits zwei Maenner erwarteten. Mein truemmerschweres Marschgepaeck verschwand wie von Zauberhand in dem fragilen dreiraedrigen Gefaehrt. Wir quetschten uns zu dritt auf die schmale Rueckbank. Ich hatte noch meinen Trekkingrucksack auf dem Schoss und so nahm das Tuk-Tuk langsam Fahrt auf.

Das Tuk-Tuk und ich.





Wir gerieten mitten in die fruehabendliche Rush-Hour. Ploetzlich war die Muedigkeit wie weggeblasen. Schlagartig brachen alle Daemme und die Reizueberflutung etraenkte mein Bewusstsein. Wir fuhren auf der Hauptstrasse in Richtung Colombo. Der Verkehr haette dichter nicht sein koennen und er folgte schienbar allein den Regeln der totalen Anarchie. Man hatte keine Vorfahrt, man nahm sie sich einfach. Tuk-Tuks ueberholten Busse, Busse ueberholten LKWs und Mofas schlaengelten durch die entstandenen Luecken. Fussgaenger ueberquerten auf gut Glueck die Strasse. Ampeln gab es nicht. Ich selbst klammerte mich schier panisch an meinen Trekkingrucksack, denn immer wieder schien eine Kollision unausweichlich. Oft schrammten die ueberholenden oder von uns ueberholten Fahrzeuge nur wenige Zentimeter an meinem Gesicht vorbei, das meist neugierig aus den offenen Flanken des Tuk-Tuks hevorlukte.

Ausblick aus einem Tuk-Tuk an einem weniger hektischen Tag.

Bereits nach kurzer Zeit verspuerte ich ein leichtes Brennen in der Lunge und der Ekel stieg mir ins
Gesicht. In unserem Gefaehrt roch es stark nach Diesel und verbranntem Gummi, von aussen zogen Abgasnebel und ein fischig-suesser Verwesungshauch herein. Das Strassenbild machte ebenso einen schrillen und chaotischen Eindruck. Raeudige Strassenkoeter und abgemagerte Rinder am Wegesrand waren keine Seltenheit. Die dicht aneinander gereihten Haeuser wirkten hauptsaechlich wie provisorische Baracken mit Wellblechdaechern und bruechigen Fassaden. Beinahe alle beherbergten  ueberfuellte Verkaufsbuden, in denen neben Guetern des taeglichen Bedarfs auch Obst, Gemuese, Fisch oder Fleisch feilgeboten wurden. Vor den Haeusern verlief ein schmaler Kanal, der spaerlich mit Betonplatten abgedeckt war, das Abwasserentsorgungssystem Sri Lankas.

Der Gemueseguru



Abwasserkanal.
In regelmaessigen Abstaenden entdeckte ich ueberdrehte Werbetransparente, die auf kitschige Art und Weise westlichen Kommerz postulierten. Auf den improvisierten Buergersteigen herrschte reges Treiben, farbenfroh gekleidete Menschen wuselten durcheinander, schwatzten und doesten in der tropischen Hitze. Korpulente Frauen in Saris mit Sonnenschirmen stolzierten einher, aeltere Maenner in Samaras, traditionellen Roecken (siehe 2. Bild oben), und Schmuck behaengte Halbstarke in Jeans und Seidenhemd. Es braucht Zeit, um die tiefgruendige Ordnung zu erahnen, die sich unter der anarchischen Oberflaeche verbirgt, bis man die bunte Lebendigkeit und das Imperfekte im alltaeglichen Leben schaetzen lernt. Es aehnelt einem Ameisenhaufen, bei dem auf den ersten Blick weder Ordnung, noch Struktur erkennbar sind. Und doch kennt jede einzelne Ameise ihren Platz im Gefuege und weiss, wie sie sich zu verhalten hat, um wohlbehalten von A nach B zu gelangen.