Sonntag, 25. Juni 2017

Kapitel 31 - Penang (Malaysia): Sino-indo-anglo-malaiisches Flair

Wer den protestantischen Friedhof von Georgetown besucht, dem wird klar, dass das Leben in den Kolonien kein Zuckerschlecken war. Etwa ein Drittel der hier Bestatteten sind kaum 30 Jahre alt geworden. Malaria, Cholera, Hepatitis und andere Infektionskrankheiten haben vielen Kolonisten ein verfrühtes Ableben beschert. Selbst der Gründer der britischen Kolonie auf der Insel Penang, Sir Francis Light, musste sich im Alter von 54 Jahren dem Siechtum des Dschungelfiebers geschlagen geben. Könnte er Penang heute erleben, wäre er mit Sicherheit erstaunt über den Wandel, den Pennag durchgemacht hat. Als Light sie dem Sultan von Kedah im Jahre 1796 abluchste und unter britische Herrschaft stellte, war die Insel noch ein von dichtem Dschungel bedecktes Niemandsland. Heute gilt Penang zu Recht als eines der bedeutendsten wirtschaftlichen und kulturellen Zentren Westmalaysias.

Der alte Friedhof von Georgetown.
Ich selbst erreiche die Insel in etwas derangiertem Zustand nach über zehnstündiger Busfahrt. Von Aonang aus geht es über Krabi zunächst nach Süden in die grenznahe Stadt Hatjai. Dort wechseln wir das Vehikel, erreichen schließlich die malaysische Grenze und fahren nach Erledigung der üblichen Formalitäten weiter zur Insel Penang, die nicht weit entfernt von der Grenze und dicht an der Westküste der malaiischen Halbinsel gelegen ist. Der spannendste Teil der Busfahrt besteht sicherlich in der Überquerung der längsten Brücke Südostasiens, die Penang mit dem Festland verbindet.

Fort Cornwallis.

Next to Sir Light.
Auf Penang kann man gut und gerne eine ganze Woche verbringen ohne sich zu langweilen. Zu sehen und zu tun gibt es wahrlich genug. Wer sich wie meine Wenigkeit für Geschichte interessiert kann sich in Georgetown, dem urbanen Zentrum Penangs, auf die Spuren der einstigen britischen Herrscher begeben. Im historischen Stadtkern, der seit 2008 als Unesco-Weltkulturerbe anerkannt ist, schlendert man gemütlich an den weißgetünchten Kolonialbauten mit den mächtigen, Schatten spendenden Bäumen entlang und lässt sich mental in die Vergangenheit zurückversetzen. Im hübsch-restaurierten Fort Cornvallis, das bis zur Invasion der Japaner im zweiten Weltkrieg, keinerlei Feindseligkeiten gekannt hat, werden kostenlose Führungen durch den Festungskomplex angeboten, bei denen sich auch einige (tragik)-komische Details offenbaren. Beispielsweise befindet sich dort eine mächtige, holländische Kanone aus dem 17. Jahrhundert, um die sich zahlreiche Legenden ranken. So soll das Geschütz etwa unfruchtbaren Frauen zu Nachwuchs verhelfen, wenn ihm ein Blumenopfer dargebracht wird. Laut meiner Fremdenführerin hat das schon in mindestens drei Fällen zum gewünschten Erfolg geführt.

Ein Hauch von China.
Besonders attraktiv wird die Atmosphäre in Georgetown durch die vielfältigen kulturellen Einflüsse, die diese Stadt geprägt haben. Chinesen, die zumeist im Laufe des 19. Jahrhunderts als Arbeitsmigranten aus den von Hunger geplagten Süd-Provinzen des großen Kaiserreiches auf die malaiische Halbinsel kamen, haben im Laufe der Zeit eine ganz eigene Parallel-Gesellschaft entwickelt und sich in rivalisierenden Clans mit internen Machtstrukturen organisiert. Das Straßenbild ist dementsprechend noch immer geprägt von prächtigen chinesischen Geschäftshäusern, Tempeln der Götter- und Ahnenverehrung sowie unzähligen chinesischen Restaurants, Bäckereien und anderen Ladengeschäften. Lohnenswert ist auch ein Besuch der auf Stegen errichteten chinesischen Ansiedlungen, die wie schwimmende Dörfer von der Uferpromenade aus zugänglich sind.

Little India.
Neben den chinesischen Einflüssen spielt auch die indische Kultur eine bedeutende Rolle im Straßenbild von Georgetown, wo sich sogar ein eigenes indisches Viertel befindet. Hier kann man sich nach Herzenslust an indischem Essen erfreuen, stark duftende Läden für Gebetszubehör besuchen, bunte Saris erwerben, sich von den übertrieben hochgedrehten Lautsprecherboxen eines Bollywood-Filmshops beschallen lassen oder sich am intensiven Geruch von indischen Gewürzen delektieren.

Lädt zum Flanieren ein.

Streetart.
Schließlich gibt es auch noch den muslimisch-malaischen Einschlag, der hier an der Westküste der Halbinsel jedoch nicht so stark zur Geltung kommt. Es gibt einige, nach arabischem Stil errichtete Moscheen, man hört gelegentlich den Muezzin rufen und einige Frauen tragen Kopftuch (eine sehr geringe Minderheit mit Gesichtsschleier). Außerdem war zur Zeit meines Besuches gerade der Fastenmonat Ramadan im Gange, so dass sich das muslimische Leben ohnehin etwas weniger in der Öffentlichkeit abspielte.

Eine sättigende Portion.
Streetfood-Paradise.
Dieses Gemisch an Kulturen sorgt nicht nur für ein abwechslungsreiches Stadtbild, sondern auch für ein sehr reichhaltiges kulinarisches Angebot. In Georgetown kann man sich wahrlich bis an die Schmerzgrenze voll futtern. Im Bezug auf Quantität, Qualität und Vielfalt von Streetfood-Angeboten kann die Stadt locker mit Peking oder Bangkog konkurrieren, ja ich würde sogar behaupten, dass Penang in dieser Hinsicht Spitzenreiter unter allen Städten ist, die ich bisher besucht habe. Hier ist einerseits die chinesische Küche sehr stark vertreten mit einem breiten Angebot an Nudel-Kreationen (besonders beliebt: Curry Mee, eine Nudelsuppe mit starker Gewürz-Note) und Reis-Gerichten (insbesondere empfehlenswert: Penang-Chicken-Rice mit dunkler Soße). Daneben gibt es noch zahlreiche indische Restaurants, wo es kräftige Curries und frisch gebackenes Nan-Brot mit verschiedenen, würzigen Soßen zu verkosten gibt. Von der malaisch-muslimischen Küche standen auf Grund des Ramadans leider kaum Kostproben zur Verfügung , obwohl ich durchaus neugierig darauf gewesen wäre. Freunde des gepflegten Schmausens sollten außerdem dem Wonderful-Food-Museum einen Besuch abstatten, wo sehr detaillierte und teils grotesk überdimensionierte Nachbildungen von malaiischen Spezialitäten ausgestellt werden. Hier lassen sich nicht nur spaßige Fotos mit mutierten Mega-Shrimps schießen, sondern auch interessante Fakten über Essen und Essgewohnheiten in Erfahrung bringen. Beispielsweise, dass der teuerste Bürger der Welt (verfeinert mit Goldraspeln, Fleisch vom japanischen Kobe-Rind und schwarzen Trüffeln) über 1000 Dollar kostet und es gleichzeitig noch Orte auf der Welt gibt, wo Menschen an Hunger sterben. 

Affenhorde auf dem Weg zum Penang-Hill.

Aussicht über Penang.

Penang bietet nicht nur eine spannende Atmosphäre, sondern auch einige sehenswerte Attraktionen, die man mit den regelmäßig verkehrenden, städtischen Bussen sehr bequem und günstig erreichen kann. Ein Ausflug zum Penang-Hill etwa gehört zum Pflichtprogramm. Schon der Dichter Herrmann Hesse hat sich auf seiner Asienreise Anfang des 20. Jahrhunderts zur Besteigung dieser 830-Meter-hohen Erhebung aufgemacht, wo die englischen Besatzer ihre mondänen Landsitze errichtet haben. Heute tummeln sich auf dem Gipfel in erster Linie Singapur-Chinesen, die sich per Seilbahn nach oben transportieren lassen und sich im elektrischen Golfwagen herumkutschieren lassen. Nach einem schweißtreibenden Aufstieg zu Fuß lässt sich die Aussicht über Penang jedoch noch etwas mehr genießen. Außerdem bietet sich die Chance, Makaken und Skorpione zu beobachten. 

Through the jungle.
Nicht verpassen sollte man weiterhin den Penang-Nationalpark, in dem man auf deutlich markierten Wegen, Wanderungen durch den Dschungel unternehmen und mehr über Flora und Fauna der Gegend erfahren kann. Die Wege führen einen zu einladenden, weißen Stränden, wo aber überall (wegen angeblich giftiger Quallen und gefährlicher Unterströmungen) das Schwimmen untersagt ist. Mit ein bisschen Glück trifft man sogar auf einen mächtigen, ausgewachsenen Waran und stellt dann fest, dass man vergessen hat, eine Speicherkarte in die Kamera zu stecken. 

Kek-Lok-Si.

Wer seinem Aufenthalt noch eine spirituelle Abrundung verpassen möchte, kann dem gewaltigen Kek-Lok-Si-Tempel ein Stück außerhalb von Georgetown einen Besuch abstatten. Der Tempel stellt eines der größten buddhistischen Heiligtümer in Südostasien dar und wird ständig um weitere Anbauten erweitert. Markantestes Merkmal ist sicherlich die 30-Meter-hohe, bronzene Statue von Kuan Yin, der Göttin der Barmherzigkeit, die unter einem mächtigen, von Säulen gestützten Pagoden-Dach steht und milde auf Penang herab lächelt. Ansonsten herrscht auch im Kek-Lok-Si-Tempel die für chinesische Heiligtümer so typische, legere Freizeit-Atmossphäre. Die Gänge und freien Nische sind mit Verkaufsständen ausgefüllt, die kitschige Buddha-Souveniers und Räucherstäbchen in allen Variationen feilbieten. Man trägt bevorzugt T-Shirts, kurze Hosen und Badelatschen, raucht ungezwungen Zigaretten oder gönnt sich ein Nickerchen. Aus Lautsprecherboxen tönt das beliebte Om-mani-padme-hum-Mantra.

Wer ist hier der größere Affe?
Penang's großartige Lage, der Wohlstand, die vielen Attraktionen und die lebenswerte Atmossphäre in Georgetown haben allerdings auch ihre Schattenseiten. Wohnraum und Immobilien sind zu beliebten Spekulationsobjekten geworden. Die Mieten in der Stadt steigen und Investoren werben großflächig mit Luxus-Wohnbunkern in Bestlage. Alteingesessene Mieter und Pächter werden anscheinend zunehmend aus dem Zentrum verdängt, wo sich wohlhabende Singapur-Chinesen schicke Boutiquen und Hotels einrichten. Da drängen sich natürlich gewisse Parallelen zu München oder Hamburg auf und man fragt sich, ob solch eine Entwicklung nicht langfristig den Charme von Georgetown erheblich schmälern wird.  

Dienstag, 20. Juni 2017

Kapitel 30 - Planschen in der Andamanensee...

Im Gegensatz zu Nepal sind die meisten Gebiete in Thailand relativ entwickelt und verfügen über eine moderne Infrastruktur, einschließlich gut ausgebauter Autobahnen sowie Strom- und Internetleitungen. Die Leute brausen in schweren Pickup-Trucks durch die Gegend und die Supermärkte sind mindestens genauso überdimensioniert wie bei uns zu Hause. Außerdem wird ein nicht zu vernachlässigender Anteil der thailändischen Wirtschaftsleistung vom Tourismus-Sektor erbracht. Dementsprechend groß ist das Angebot an Transport, Verpflegung und Unterbringung, aus dem amn als Reisender auswählen kann. Von Bangkok nach Süden in die Krabi-Provinz oder direkt auf die Wunschinsel zu gelangen, ist ein absolutes Kinderspiel. Man gehe einfach ins Reisebüro, bezahle ein paar Bhat, bekomme einen Sticker ans T-Shirt geheftet und der Rest passiert nahezu von alleine. Klar, ein bisschen leiden muss man auch. Wer wie ich eine etwa zwanzig-stündige nächtliche Busreise mit drei Mal umsteigen zur Insel Ko Lanta auf sich nimmt, kommt dort mit Sicherheit nicht taufrisch wie der junge Morgen an.

Koh Lanta bei Sonnenschein
Von den unzähligen Inseln, die es dort im Süden Thailands zu erkunden gibt, hab ich mich ausgerechnet für Koh Lanta entschieden, weil die Insel als sehr entspannt gilt und weil ich zu faul war, umfassendere Recherchen anzustellen. Sonst hätte ich mich wahrscheinlich für eine der wild-romantischeren Inseln in der Trang-Provinz entschieden, die man nur nach langer Fährfahrt erreicht. Über meine Tage in Koh Lanta beklagen, kann ich mich hingegen auch nicht. Ich habe die Ruhe gefunden, die ich gesucht habe. Koh Lanta in der Nebensaison ist ein bisschen wie ein niederbayerisches Dorf an einem heißen Sonntagnachmittag. Mein Hostel, das Platz für über ein dutzend Reisende bietet, habe ich komplett für mich alleine. Für die Tage meines Aufenthalts bürde
ich mir ein masochistisches Fitnessprogramm auf, indem ich die Insel mit einem geliehenen Fahrrad erkunde, das wesentlich zu klein für mich ist. Die einzige geteerte Straße der Insel, die an der West- und Ostseite entlang führt, besitzt zwar einige gerade Abschnitte, führt aber genauso oft Sinuskurven-artig auf und nieder. Bei über 30 Grad feucht-tropischer Hitze und knallender Sonne glaubt man im Sattel schier zu verdampfen, zumal man nicht selten absteigen muss, um das Rad eine steile Anhöhe hochzuschieben. 

Koh Lantas 'Old Town' bei Kaiserwetter.
An einem anderen Tag hingegen schlägt der Monsun zu und Sturzbäche von Wasser ergießen sich vom Himmel, was den Fahrradausflug nicht eben erquicklicher macht. Immerhin amüsieren sich die Einheimischen. Den langen weißen Spargel auf dem Drahtesel, der sich abstrampelt und dabei ganze Ozeane schwitzt, finden alle Inselbewohner gleichermaßen ulkig. Gelohnt haben sich die mühsamen Touren trotzdem. Egal ob es das Bad im Ozean, der sündige Softdrink oder das zweite Frühstück in Form eines fettigen Nudelgerichts ist, alles fühlt sich wohlverdient an. Außerdem erkundet man die Insel auf sehr entschleunigte Weise und kann etwa der beschaulichen Altstadt im Osten einen Besuch abstatten, wo man an der muslimischen Kultur der Einheimischen bereits die Nähe zu Malaysia erahnen kann. Besonders positiv werden mir auch die vielen frischen Früchte in Erinnerung bleiben, die ich auf Koh Lanta jeden Tag in mich hinein gespachtelt habe. Es ist einfach ein unbeschreiblicher Luxus, stets Zugang zu frischen Mangos, Ananas und anderen Köstlichkeiten zu haben. Addiert man dazu noch die weiteren Thai-Massagen, die ich in Anspruch genommen habe, sowie die täglichen Schwimmeinheiten und das Bruzeln in der Sonne, dürfte es um mein physisches Wohl gut bestellt gewesen sein.

Auf dem nach Phi Phi.
Ich weiß nicht genau, was mich geritten hat, nach Koh Lanta die Nachbarinsel Koh Phi Phi aufzusuchen. Vermutlich war es die Nähe (etwa eine Stunde mit der Fähre) zu Koh Lanta und die Tatsache, dass dort in der Nähe ein James-Bond-Film gedreht wurde (den ich nicht einmal gesehen habe), was meine Neugier geweckt hat. Mir war vorher auch bekannt, dass Koh Phi Phi als die Touristenfalle schlechthin gilt und vielleicht nicht unbedingt meinen Reisepräferenzen entsprechen würde. Eine Chance wollte ich der Insel trotzdem geben. Tatsächlich habe ich dort so etwas wie ein tropisches Ibiza vorgefunden, allerdings im sanften Dornröschenschlaf der Nebensaison. Wie es hier in der Hauptsaison zugehen muss, will ich mir nicht unbedingt ausmalen. Die malerische Lage der Hauptinsel mit ihren zahlreichen Stränden und den markanten Karstformationen scheint sich über die Jahrzehnte zu einem Fluch entwickelt zu haben. Übermäßige Bebauung mit Feriendomizilen sowie galoppierende Umweltverschmutzung haben Kho Phi Phi ihren Stempel aufgedrückt. Von jedem Besucher werden inzwischen 20 Bhat Kopfsteuer verlangt, um die Insel sauber zu halten. Dabei dürfte einiges zusammenkommen, denn auch in der Nebensaison gibt es massiven Zulauf. 

Urlaubskitsch.
Auf Kho Phiphi tummeln sich Touristen aus aller Herren Länder. Hier trifft man durchtrainierte Zahnarzthelferinnen aus Boston, bleiche, russische Mitvierzigerinnen und Scharen von Chinesen, die die Uferpromenade fest in ihrer Hand haben. Wer sich keiner kostspieligen Bootstour anschließen möchte und keinen Aufenthalt im Ressort mit inkludierter Bespaßung gebucht hat, dem bleiben ein paar lohnenswerte Aussichtspunkte (für die separat abkassiert wird) und eine Auswahl netter Badestrände. Darüber hinaus bestehen zahllose Gelegenheiten, in authentischer Ballermann einen Heben zu gehen. Da fühlt man sich als deutscher Urlauber doch direkt heimisch.

Fürs Poesie-Album.
Von Koh Phi Phi aus unternehme ich wieder eine Schiffsreise, die mich nach Aonang führt, einem weiteren zweifelhaften Strand-Paradies auf dem Festland nahe der Stadt Krabi. Dass ich in Aonang keinerlei Fotos geschossen habe, deutet schon darauf hin, dass sich hier nicht viel Berichtenswertes ereignet hat. Im Wesentlichen habe ich es genossen, einen Strand vor der Haustür zu haben und 
schon morgens vor dem Frühstück ein Bad nehmen zu können. Irgendwie habe ich die Nähe zum Meer immer als sehr heilsam erlebt.

Kapitel 29 - 6 Nights in Bangkok...

Nur etwa zwei Wochen habe ich nach dem Retreat noch im Land der Thai verbracht. Ursprünglich war ein längerer Aufenthalt geplant. Doch leider hat der gelangweilte Beamte hinterm Einreiseschalter am Bangkoker Flughafen mein 60-Tage Visum übersehen und mir nur die übliche, 30-täige Aufenthaltsgenehmigung in den Pass gestempelt. Eine weitere Verlängerung des Visums hätte meinem Geldbeutel ordentlich wehgetan und so beschloss ich, pünktlich zum 3. Juni wieder außer Landes zu sein.

Blick auf Bangkok vom 'Golden Mountain'.
Was gibt es nun berichtenswertes über meine zwei Wochen in Thailand? Ich muss ehrlich gestehen, dass mir da kaum etwas einfällt. Die Tage sind wie im Zeitraffer an mir vorübergegangen und haben kaum Spuren in Form von denkwürdigen Erinnerungen hinterlassen. Vom beschaulichen Gelände des Meditationszentrums wurde ich von einem Bus aufgegabelt, der mich direkt nahe des Zentrums der Millionenmetropole Bangkok abgesetzt hat, von wo aus ich mich dann per Skytrain und Bus zu meinem Hostel durchgeschlagen habe. Der massive Kulturschock, den ich zuvor erwartet hatte, ist indes ausgeblieben. Ich hatte zunächst damit gerechnet, dass mich allgemeines Chaos und Reizüberflutung in Bangkok hoffnungslos überfordern würden. Tatsächlich habe ich mich erstaunlich schnell zurechtgefunden. Nur das erreichte Niveau an achtsamer Gegenwärtigkeit auch in der Hektik einer modernen Großstadt zu bewahren, sollte sich als schwierig erweisen. Zu viel passiert gleichzeitig und in zu rasanter Geschwindigkeit, wodurch die Aufmerksamkeit in tausend Scherben zersplittert wird, anstatt in einem einzigen, präzisen Strahl fokussiert zu werden.

Blick von außen auf den Königspalast.
In Bangkok war ich nun also wieder ein „freier Reisender“ mit bescheidenem, aber für thailändische Verhältnisse mehr als ausreichendem Budget. Es durfte frei nach Lust und Laune gegessen und getrunken werden, wofür sich in Bangkok unzählige Gelegenheiten bieten. Gefühlt alle 50 Meter kann man sich den Bauch mit frischen Früchten, Pad Thai (gebratenen Nudeln), Curries aller Art, in Fett gebadeten Streetfood-Snacks, der für Asien so typischen Nudelsuppe und allerlei anderen exotischen und weniger exotischen Fressalien vollschlagen. Bei mir lief es indes meistens auf Reis oder Nudeln hinaus. Natürlich steht auch das einschlägige Fastfood amerikanischen Ursprungs und die Sucht erregenden Zuckerwässerchen des Coca-Cola-Konzerns in schier unbegrenzten Mengen zur Verfügung. Auf der berüchtigten Khao-San-Road, Bangkoks Backpackermeile, die es spätestens seit Alex Garlands Roman „Der Strand“, zu globaler Bekanntheit gebracht hat, findet man natürlich auch noch alles andere, was das hedonistische Herz begehrt. Hier kann man ordentlich Eimer-Saufen zum Economy-Traif, sich durchkneten lassen, Reggeau-Musik hören, sich Anzüge schneidern lassen oder bei einer Ping-Pong-Show alle Zivilisiertheit fahren lassen. Um die Bargeldversorgung muss man sich auch keine Gedanken machen. Man kann nämlich kaum fünf Schritte laufen ohne auf einen Geldautomaten zu treffen und im Gegensatz zu ihren nepalesischen Vettern, spucken die ATMs in Bangkok immer zuverlässig Cash aus, das man in die Shopping-Malls und zu den weitläufigen Straßenmärkten tragen kann. Die Straßenmärkte ähneln in Art und Angebot sehr dem, was ich bereits in China kennengelernt habe. Lebende und tote Produkte in allen Formen und Farben, inklusive Krabben und Kröten.

Auf dem Blumenmarkt.
Natürlich bietet Bangkok noch einiges mehr. Die Säulen der Thai-Nation heißen schließlich Monarchie, Religion und Souveränität. Über erstere beiden Aspekte bietet die Stadt Einblicke in Hülle und Fülle. Erst letztes Jahr ist das der hochverehrte thailändische Monarch Bhumipol (Rama IX.) nach über 60 Jahren Regentschaft in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Schaut man sich aber im Land (und insbesondere in Bangkok) um, könnte man meinen, er wäre erst vorgestern von uns gegangen. Überall erinnern Gedenktafeln, Statuen und schwarze Schleifen an das tote Staatsoberhaupt. Einen ähnlichen Personenkult hat es wohl seit dem Tod von Joseph Stalin nicht mehr gegeben. Auf Majestätsbeleidigung stehen mehrjährige Haftstrafen und das obwohl in Thailand traditionell nicht der König, sondern das Militär die politischen Fäden zieht. Immerhin stammt der verstorbene König aus einer Linie, die von einem putschenden General begründet wurde. Für den Besuch des Königspalastes war ich zugegebenermaßen zu geizig und zu abgeschreckt von den Besuchermaßen, die diesen Komplex regelmäßig überschwemmen. Da hat die durchaus imposante Außenansicht gereicht.

Reclining Buddha.
Wer sich für Thailands Staatsreligion, den Buddhismus, interessiert, kommt in Bangkok auch auf seine Kosten. Zahllose Schreine, Tempel und Buddha-Statuen lassen sich besichtigen. Besonders beeindruckend fand ich den Wat-Pho-Tempel, der direkt neben dem Königspalast gelegen ist. Hier befindet sich eine gigantische, liegende Buddha-Statue, die beinahe zu groß für ihr Häuschen ist. Trotz des bescheidenen Äußeren der Bikkhus (buddhistische Mönche) mit ihren haarlosen Köpfen und einfachen Roben legt man im thailändischen Theravada-Buddhismus auch gelegentlich Wert auf Bling-Bling. Gold und Silber sowie aufwendige Verzierungen und Architektur dürfen in kaum einem Tempel fehlen. Auf dem Gelände von Wat-Pho befindet sich des Weiteren ein Zentrum, wo die traditionelle Thai-Massage gelehrt wird. Für wenig Budget kann man sich hier professionell durchkneten lassen. Die einstündige Prozedur, der eine therapeutische Wirkung zugeschrieben wird, fühlt sich größtenteils an wie Folter. Danach läuft man hingegen für ein Weilchen wie auf Wolken.

Strange Giants.
Die angenehmste Art der Fortbewegung ist eine Fahrt mit dem Expressboot auf Bangkoks großem Strom, dem XY. Man vermeidet das allgemeine Verkehrschaos und erlebt ansehnliche Stadtpanoramen. Wer das Abenteuer sucht, kann probieren, mit den öffentlichen Bussen zu fahren, die nach einer gang eigenen Logik verkehren. Freunde des gepflegten Feilschens greifen hingegen ganz klassisch auf das Tuk-Tuk zurück.

Auf der Wasserstraße.
Sicher könnte man noch viel, viel, viel mehr über Bangkok berichten, obwohl vermutlich schon zu viel über diese Stadt geschrieben wurde. Das berüchtigte Nachtleben habe ich etwa genauso links liegen gelassen wie die Kochkurse oder die gigantischen Shopping-Malls. Ich kann also nicht behaupten, Thailands Hauptstadt in all ihrer Fülle kennengelernt zu haben. Dennoch habe ich den Eindruck, dass Bangkok in erster Linie eine Stadt der sinnlichen Freuden ist. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie die amerikanischen G.I.s hier während des Vietnamkrieges Ablenkung von den Grausamkeiten des Dschungelkampfes gefunden haben. Das soll Bangkok als Reiseziel aber keineswegs abwerten. Ich habe hier ein paar, schöne unspektakuläre Tage mit heißem Wetter, gutem Essen und gemütlichem Herum-flanieren verbracht. Wer es etwas weniger geruhsam angehen lässt, für den hält Bangkok bestimmt das ein oder andere Abenteuer bereit.

Donnerstag, 15. Juni 2017

Kapitel 28 - 14 Tage Nabelschau

Dieser Artikel ist allen Beteiligten gewidmet, die diese besondere Erfahrung moeglich gemacht haben. Ich bin sehr dankbar fuer die freundliche Aufnahme, die kompetente Organisation und die Moeglichkeit, mich selbst etwas besser kennenzulernen. Außerdem möchte ich mich für die in diesem Artikel verwendeten Photos bedanken, die ich mit freundlicher Genehmigung des Sorntawee-Meditationszentrums (http://www.sorntawee.org/) für diesen Artikel verwenden darf. 

Zwei ereignisreiche Wochen liegen hinter mir und das obwohl ich eigentlich nicht viel gemacht habe. Ich habe mir nur die sehr einfachen Dinge, die unser Leben größtenteils ausmachen, ein bisschen bewusster angeschaut. Dafür habe ich den sehr strikten Rahmen eines Vipassana-Retreats gewählt. Obwohl ich bereits über eine etwa zweijährige Meditationserfahrung verüge und bereits an zwei ähnlichen Retreats teilgenommen habe, war es auch dieses Mal wieder eine knackige Herausforderung, über die ich in diesem Artikel berichten möchte.


Das Center.

Meditation - was ist das denn?

Viele schlaue Menschen haben schon viele schlaue Sätze zum Thema Meditation geschrieben. Es gibt zahllose Definitionen und verschiedene Techniken, die auf unterschiedliche spirituelle Traditionen zurückgehen. Selbst im Christentum existiert in Form des Rosenkranz-Gebetes eine Art von Meditationspraxis. Wer sich gerne mit Definitionen beschäftigt, sei an dieser Stelle auf den entsprechenden Wikipedia-Eintrag verwiesen. Ich will mich an dieser Stelle nicht lange damit aufhalten. Beim Meditieren geht es nämlich nicht um intellektuelles Verstehen oder Spielen mit Begriffen, sondern um unmittelbare Erfahrungserkenntnis.

Um die obige Frage also kurz, bündig und intuitiv zu beantworten: Meditation bedeutet Beobachtung des gegenwärtigen Moments. Nicht mehr und nicht weniger. Es gibt im Grunde kaum etwas Schlichteres. Nur beobachten, was immer da kommen mag. Nicht bewerten, nicht analysieren, nicht identifizieren, nicht kontrollieren und nicht reagieren.   

Die Technik - oder: was beobachten?

Meditationsobjekte gibt es gleich den verschiedenen Meditationstechniken wie Sand am Meer. Besonders verbreitet ist die Beobachtung des natürlichen Atemflusses an verschiedenen Stellen des Körpers. Generell taugen alle psychischen oder physischen Wahrnehmungsobjekte zur Anschauung, die in unserem Bewusstseinsstrom auftauchen. Gedanken, Gefühle, Empfindungen oder Sinneseindrücke. 

Die verschiedenen Techniken unterscheiden sich meist in der Wahl des Meditationsobjektes. In meinem zweiwöchigen Vipassana-Retreat (gleichbedeutend mit Einsich in der Pali-Sprache) im Sorntawee-Meditationszentrum hatten wir eine ganze Reihe von solchen Objekten. Während der Sitzmeditation haben wir uns vorrangig auf das natürliche Heben und Senken des Abdomens beim Ein- und Ausatmen konzentriert. Gleichzeitig sollten wir uns anderer Phänomene wie Gedanken, Gefühlen und Empfindungen bewusst sein und diese gegebenenfalls benennen (ohne sie zu analysieren). Bei der Gehmeditation steht die Beobachtung des Bewegungsablaufes beim Gehen im Vordergrund. Darüber hinaus sollten wir Achtsamkeit bezüglich unserer täglichen Aktivitäten üben. Also kurzum: immer im Augenblick sein.  

Gebote und Verbote: Yogi-Sein bedeutet starke äußere Einschränkung

Man liegt hart.
Militärisch anmutende Disziplin wird von den Meditierenden verlangt. Neben den unten aufgeführten 12 allgemeinen Regeln gilt es auch noch 7 weitere ethische Verhaltensweisen zu befolgen, die im Allgemeinen für buddhistische Mönche gelten. Dazu gehört etwa auf das Töten jeglicher Lebewesen zu verzichten, was im Moskito-verseuchten Thailand eine gewisse Herausforderung darstellen kann. Auch 'luxuriöse' Betten sind tabu. Geschlafen wird auf einer (für meine Länge zu kurzen) Holzbank mit einer etwa 2-cm-dicken Matte darauf. 

Die allgemeinen Regeln:
1. Meditator must practice according to the daily time schedule and must practice the walking and sitting meditation at the Dhamma Hall.

2. Meditator should refrain from unnecessary talking. Socializing is not encouraged.

3. Meditators must not do any activity that would disturb other yogis at all time.

4. Meditator must not get involved in activities not related to meditation.

5. Meditator must strictly adhere to the meditation teacher instruction and should not practice any other meditation methods.

6. Meditator must not report his/her practice to anyone except his/her meditation teacher.

7. Meditator should keep writing and reading to absolute minimum.

8. Meditator should use telephone and internet only when it is necessary.

9. Consuming of alcohol, drugs, and smoking are prohibited. 
10. Going outside of the meditation center is prohibited except receiving the permission from the meditation teacher.

11. Meditator must have sound mental and physical health.

12. If problem arises, meditator must contact stuff.


Nicht dass es eine große Rolle spielen, dass das Bettchen etwas härter ist. Zum Schlafen bleibt nämlich ohnehin wenig Zeit. Gerade einmal fünfeinhalb Stunden lassen sich herauskitzeln, wobei es keine Nacht gab, in der ich richtig durchgeschlafen habe. Zwischen dem Weckruf um 3.30 Uhr morgens und dem offiziellen Ende um ca. 21.30 Uhr abends liegen 11 Stunden knallharte Selbstbeobachtung ohne eine Möglichkeit sich abzulenken.

Der Tagesablauf:
3:30 Wake Up

04:00 - 05:00 Walking Meditation

05:00 - 06:00 Sitting Meditation

06:00 - 07:30 Breakfast and Personal Chores

07:30 - 08:30 Sitting Meditation

08:30 - 09:30 Walking Meditation

09:30 - 10:30 Sitting Meditation

10:30 - 13:00 Lunch and Personal Chores

13:00 - 14:00 Sitting Meditation

14:00 - 15:00 Walking Meditation

15:00 - 16:00 Sitting Meditation

16:00 - 18:00 Drinking Juice and Personal Chores

18:00 - 19:00 Dhamma Talk (or Sitting Meditation)

19:00 - 20:00 Walking Meditation

20:00 - 21:00 Sitting Meditation

21:00 - 21:15 Metta Chanting

My home is my Kuti.
Dieser Rahmen verlangt, dass man sich von vielen alltäglichen Gewohnheiten zeitweise verabschiedet, er reduziert einen auf das Wesentliche und macht es zugleich sehr viel einfacher sich auf dieses Wesentliche zu fokusieren. Unser alltägliches Leben bietet zahllose Möglichkeiten sich vom gegenwärtigen Moment abzulenken, falls dieser langweilig oder unangenehm erscheint. Wir können Fernsehen, im Internet surfen, Essen, mit unseren Freunden sprechen, Lesen oder Musik hören. Im Retreat können wir nicht auf diese externen Reize zurückgreifen. Wir sind mehr oder weniger gezwungen, uns mit dem zu befassen, was wir gerade erfahren - und es zu akzeptieren. Da es für die meisten von uns (und auch für mich) eine Art Sucht geworden ist, sich jederzeit abzulenken oder zu reagieren, stellen diese strikten Rahmenbedingungen eine große mentale Herausforderung dar. Nicht selten verspürt man den Drang zur Flucht und zum Ausbruch.

Nichts tun außer wahrnehmen - selbst wenns weh tut

 

Auf dem Grill.
Während der einstündigen Meditationseinheiten zieht ein ganzer Kanon an Bewusstseinsphänomenen an einem vorbei. Die hohe Kunst besteht darin, konzentriert zu bleiben und die Beobachterperspektive nicht zu verlassen. Insbesondere die Sitzmeditations-Stunden, während derer man nach Möglichkeit weder die Augen öffnen, noch die Position verändern sollte, habe ich als harte Belastungsprobe für meine Willenskraft erlebt. Hier eine Auswahl von häufig wiederkehrenden Phänomenen, die in der Praxis zur Herausforderung werden können:

1. Körperlicher Schmerz

Es ist der Teil der asiatischen Kultur für längere Zeit und ohne bequeme Unterlage auf dem Boden zu sitzen. Meine Mit-Meditierenden hocken allesamt auf dünnen Matten, teilweise im Lotus- oder im Halb-Lotus-Sit, auf dem nackten Boden der Dharma-Halle. Zumindest dem äußeren Anschein nach haben sie keine größeren Probleme damit. Für mich als einzigen Europäer verhält es sich da anders. Ich bin nicht nur großgewachsen, sondern auch ganz schön ungelenkig. Glücklicherweise habe ich meine Meditationsbank tausende von Kilometern über den Erdball transportiert, um nicht vollständig unterzugehen. Dennoch muss ich auf die Schmerzen nicht verzichten. Im Laufe einer Sitzung melden sich stechender Schmerz in den Knieen, Enge, Spannung und Verkrampfungen im vorderen Rumpf-Bereich sowie gelegentlich pochender Schmerz im oberen Rücken. Das Ganze intensiviert sich nach natürlich zum Ende einer Sitzung hin und verstärkt sich durch andere Faktoren wie Müdigkeit oder Konzentrationsschwäche. Akzeptanz des Schmerz Phänomens und Nicht-Identifikation sind sicherlich mit die härtesten Prüfungen für Vipassana-Yogis. Je stärker man auf den Schmerz reagiert, sich identifiziert und in Aversionen verfällt, desto stärker wird man auch darunter leiden. Konzentration, Achtsamkeit und Gleichmut sorgen dagegen für eine Verminderung des Leidens. Jedenfalls wird man die Erfahrung machen, dass auch Schmerz nur ein unbeständiger Vorgang ist.

2. Müdigkeit

Da ich es gewohnt bin jede Nacht mindestens 7-8 Stunden zu schlafen und nicht vor 6 Uhr morgens aufzustehen, wird meine Meditation (insbesondere in den Morgenstunden der ersten Tage) von einer schweren, zähen Schläfrigkeit begleitet. Auf meiner harten Liege schaffe ich es in keiner einzigen Nacht, richtig durchzuschlafen. Noch halb in irgendwelchen Träumen verhaftet schlurfe morgens ich bei der Geh-Meditation wie ein Zombie vor mich hin und hänge bei der Sitzmeditation wie ein nasser Sack auf meiner Bank. Immer wieder verliere ich den Faden, verheddere mich in Gedankenschleifen und verspüre den heftigen Drang, zu meiner Pritsche zurückzukehren und für 1000 Jahre in tiefen, traumlosen Schlaf zu versinken. Auch diesem Zustand gilt es mit Achtsamkeit zu begegnen, was in der Praxis einiges an Hartnäckigkeit erfordert. Geduldig sein zahlt sich indes aus, denn das Energielevel steigt langsam, aber stetig mit jedem Tag an.  

3. Hunger

Die Mahlzeiten im Retreat kann man beileibe nicht als karg bezeichnen. Während meiner ganzen bisherigen Reise habe ich mich vermutlich nie so gesund und reichhaltig ernährt wie in diesen zwei ersten Wochen in Thailand. Allerdings gibt es nur zwei Mahlzeiten pro Tag und von 12 Uhr mittags des einen Tages bis um 6 Uhr morgens des nächsten Tages gilt es auf feste Nahrung zu verzichten. Und nicht nur das Essen an sich fällt weg, sondern natürlich auch die geschmacklichen Reize, die damit verbunden sind. Gegen Abend fängt dann auch schnell der Magen an zu knurren und bei Phantasien von Torten, tibetischen Momos oder auch nur ganz gewöhnlichem Reis mit Tofu läuft einem das Wasser im Mund zusammen. Hungergefühle ertragen zu müssen, ist im Westen sicherlich nicht oft gefordert. Sobald wir Hunger verspüren, stillen wir ihn meist sobald wie möglich, ohne ihm ansonsten größere Aufmerksamkeit zu schenken. Im Retreat ist es umgekehrt. Hier beobachtet man das Hungergefühl, ohne es zu bekämpfen oder ihm nachzugeben. Man kann sich dabei bewusst machen, wie sehr man als moderner Mensch von zucker- und fetthaltigen Lebensmitteln abhängig ist.

4. Gedanken auf Wanderschaft

Im Buddhismus gibt es die schöne und sehr häufig bemühte Metapher von unserem Geist als wildem Affen, der sich nach Lust und Laune von Ast zu Ast schwingt. Der Affengeist in seiner wilden Form will nicht gerne an Ort und Stelle verharren. Den gegenwärtigen Moment über einen längeren Zeitraum und kontinuierlich wahrzunehmen, ist für diesen ungezähmten Geist eine Schwerstarbeit. Mal springt er in die Zukunft, dann wieder in die Vergangenheit, ergeht sich in Tagträumen oder interpretiert Sinneseindrücke. Er setzt nicht selten alles daran, der Realität des Augenblicks zu entkommen. Im Alltag sind wir meist zu stark mit unseren Gedanken identifiziert, um diese Störung zu bemerken. Zahllose Beispiele (auch aus eigener Erfahrung) sind denkbar. Wenn wir arbeiten, sind wir etwa gedanklich bereits auf dem Heimweg, auf dem Heimweg sind wir gedanklich bereits zu Hause, und wenn wir zu Hause sind, sind wir gedanklich bereits wieder in der Arbeit. Durch Meditation können wir lernen, uns unserer Denkgewohnheiten bewusst zu werden und den Affen immer wieder sanft dazubewegen, sich auf den gegenwärtigen Moment (etwa in Form des Ein- und Ausatmens) zu konzentrieren. Den Gedankenstrom zu beobachten, ist indes nicht immer angenehm. Zukunftssorgen, unglückliche Erinnerungen und andere negative Phänomene können in Erscheinung treten. Ich persönlich habe häufig festgestellt, dass mein Geist in unkonzentrierten Phasen beginnt, Zukunftsszenarien zu spinnen und gegeneinander abzuwägen, was für gwöhnlich in Grübel-Orgien ausufert. Sich dieser Gedanken gewahr zu sein, ohne sich von ihnen abzuwenden oder in irgendeiner Form auf sie zu reagieren, war für mich vermutlich die größte Herausforderung. Auch hier gilt: Geduld zahlt sich aus. Der Affe wird mit der Zeit entspannter.


5. Gefühle

Begehren, Angst, Freude, Traurigkeit, Reue oder Neid – auch solche Phänomene begegnen einem, wenn man auf der Meditationsbank sitzt und praktiziert. Ganz analog zu den anderen, bereits genannten Bewusstseinsobjekten kann man auch im Falle von (negativen) Gefühlen nicht auf seine alltäglichen Bewältigungsstrategien zurückgreifen. Es besteht keine Moeglichkeit, sich durch Sport oder Medienkonsum abzulenken. Auch das vertrauensvolle Gespräch mit Freunden oder ozu Verwandten fällt weg. Wieder ist man auf sich selbst als aufmerksamen Beobachter seines Bewusstseinstromes reduziert. Hieraus lässt sich auch begründen, warum man für diese Art der Meditation eine stabile Psyche mitbringen sollte. Starke Emotionen zu beobachten ist nicht einfach, da sie einen leicht überwältigen können. Wer es aber schafft achtsam und gleichmütig zu bleiben, kann viel über seine eigenen Reaktionsmuster lernen und sich im weiteren Prozess sogar ueber sie hinwegsetzen.

Und wozu nun die ganze Schinderei?  


Ich habe mich bewusst dazu entschieden, etwa 14 Tage an einem abgeschiedenen Ort zu verbringen, mich äußerlich stark einzuschränken und mehr als 10 Stunden pro Tag mit reiner Selbstbeobachtung zu verbringen. Ich hätte stattdessen 14 Tage lang komfortabel durch Thailand reisen, mich von einem Traumstrand zum nächsten bewegen, mich von der Tropensonne bräunen und mir den Wanst mit kulinarischen Leckerbissen vollschlagen können. Warum also tut man sich so etwas freiwillig an? Viele Menschen, die ich treffe und die noch keine eigene Meditationserfahrung haben, können das schwer nachvollziehen. Kein Wunder. Wer die Vorteile von Meditation wirklich kennenlernen und verstehen will, muss der Sache selbst eine Chance geben.

Essen fassen.
 Natürlich ist nicht jede Technik für jeden Charakter gleichermaßen geeignet. Wer sich partout nicht vorstellen kann, eine Stunde lang still zu sitzen und seinen Atem zu beobachten, kann es zum Einstieg mit Gehmeditation probieren. Wie bei vielen anderen Dingen im Leben auch gilt es verschiedene Sorten zu testen, bis man die seine gefunden hat. Ich selbst bin der festen Überzeugung, dass grundsätzlich jeder Mensch meditieren kann. Grenzen setzt einem da meist nur der eigene Verstand. Genauso ist in meinen Augen jeder dazu imstande, sein Leben durch meditation zu bereichern. Dabei geht es um ganz praktische Vorzüge , von denen wir alle im Alltag profitieren können, und nicht etwa nur um die Erlangung eines fernen, spirituellen Erleuchtungszustandes.

Die Früchte der Achtsamkeit – oder: was bringt es nun konkret?


Ich habe im letzten Abschnitt viel um den heißen Brei herum geschrieben. Nun will ich näher ins Detail gehen und beispielhaft nennen, wie mir die zwei Jahre Meditationspraxis geholfen haben:


a) Schädliche Gewohnheiten ablegen: Direkt nach meinem ersten Meditationsretreat habe ich das gewohnheitsmäßige Rauchen von Zigaretten eingestellt. Es fällt um einiges leichter, zwanghafte Verhaltensmuster loszulassen, wenn man ihre Funktionsweise durchschaut und sich aus der Identifikation mit ihnen gelöst hat.


b) Gelassenheit entwickeln: Eine Lektion, die man bei Vipassana -Kursen stets aufs Neue lernt und die mit jedem Mal immer einsickert, ist die Erkenntnis, dass jedes physische und psychische Phänomen unbständig ist. Permanent finden subtile Veränderungsprozesse statt, die wir nicht kontrollieren können. Was immer geschehen mag, es wird vorbeigehen. Was immer wir glauben, zu haben oder zu sein, wir werden es früher oder später aufgeben müssen. Hat man diese an sich triviale Tatsache auf einer tieferen Erfahrungsebene begriffen, tritt man den Höhen und Tiefen des Lebens deutlich entspannter gegenüber. 

c) Den Affen im Kopf zähmen und mehr für den Moment leben: Ich habe bereits in einem Abschnitt weiter oben die Gewohnheit des Geistes angesprochen, sich unablässig mit Zukunft oder Vergangenheit zu beschäftigen und die Realität des Augenblicks auszublenden. Auch ich habe so einen Affen im Kopf, der sich gerne um die Zukunft sorgt, zwanghaft Pläne schmiedet, alte Geschichten wieder aufwärmt oder einfach nur vor sich hin grübelt. Seit ich angefangen habe zu meditieren wird der Geist jedoch immer zahmer sowie fokussierter auf die Wirklichkeit und Schönheit eines jeden unwiederbringlichen Augenblickes. Wer dieses Thema gerne vertiefen möchte, dem seien die Bücher von Eckhardt Tolle ans Herz gelegt.

Puh, das war jetzt ein ganz schön langer Artikel. Glückwunsch, wenn du bis hierher durchgehalten und nicht gelangweilt aufgegeben hast. Vielleicht habe ich dich ja ein bisschen neugierig gemacht und du möchtest gerne mehr über Meditation erfahren oder dich gar selbst einmal praktisch daran versuchen. Hierzu einige hilfreiche Links:
https://www.dhamma.org/de/ (Kurse und Infos zur Vipassana-Technik nach S. N. Goenka)
http://www.vipassana-dhammacari.com/main.html (Kurse und Infos zur Vipassana-Technik nach Mahasi Sayadaw)
http://ich-will-meditieren.de (Nützliche Infos und Beiträge zu Meditation im Allgemeinen sowie zu verschiedenen Techniken im Besonderen)

  
  

Donnerstag, 1. Juni 2017

Kapitel 27 – Dharapani (1960) - Besisahar (730) - Kathmandu

Es geht immer weiter zurück in die entwickelte Welt und es fühlt sich seltsam an. Von Dharapani aus fahren wieder motorisierte Vehikel. Wir begeben uns auf eine sechsstündige Jeep-Fahrt ins Städtchen Besisahar. Zwar beträgt die Distanz nicht mehr als 30 Kilometer, auf der steinigen Buckelpiste kommt man jedoch nur im Schneckentempo voran. Wir werden durchgeschüttelt wie in einem übergroßen Mixer. Unsere nepalesischen Freunde genießen die Fahrt stehend auf der Ladefläche. Unterwegs begegnen uns Bagger, Motorräder, ein von Chinesen erbautes Industriegebiet mit großem Wasserkraftwerk und Staudamm, der den Fluss umleitet, Zäune, Schrottplätze, schlechte Luft, Stromtrassen und viel mehr Menschen als wir es seit den letzten drei Wochen gewohnt sind. In Besisahar verbringen wir die Nacht in einer Unterkunft mit heißer Dusche, Strom, funktionierendem Internet und einer vielfältigen Speisekarte, die auch wieder Fleisch zur Auswahl hat. Inzwischen liegen auch wieder alle Smartphones auf dem Tisch (außer meines, das ich in Kathmandu gelassen habe). Nach drei Wochen in fast unberührter Natur fühle ich einen kleinen Kulturschock. Die Frage drängt sich auf, wie viel und welche Art von wirtschaftlicher Entwicklung 'gut' für eine Region und ihre Bewohner ist. Werden noch viele Touristen nach Nepal kommen, wenn die Trekking-Pfade an einer vielbefahrenen Straße vorbeiführen und die Umweltverschmutzung sich weiter verschärft? Andererseits: kann man es den Leuten in Nepal verübeln, dass sie (wie viele Europäer) ein komfortables Leben in materiellem Überfluss anstreben, was ohne adäquate Infrastruktur nicht möglich erscheint? Die interessante Frage ist für mich, ob es einen Mittelweg geben kann, der wirtschaftliche Entwicklung zulässt, ohne die Ökosysteme des Himalaya in Mitleidenschaft zu ziehen. Um diese Frage, adäquat zu diskutieren und mögliche Antworten zu geben, müsste ich wahrscheinlich einen eigenen Blog kreieren.
Die letzten Meter vor Dharapani.
Von Besisahar aus nehmen wir dann den günstigsten Transportweg in Anspruch und buchen eine Fahrt im öffentlichen Bus. Vermutlich ist dieser Teil der Reise mit am gefährlichsten für uns. Öffentliche Busse in Nepal sind für ihre Unfallgefahr bekannt und es wird dringend davon abgeraten, mit ihnen zu reisen. Leider siegt in unserem Fall nicht die Vernunft, sondern die Geiz-ist-Geil-Mentalität. Warum vor diesen Busfahrten gewarnt wird, erfahren wir unterwegs. Die Fahrer heizen wie bei einem Straßenrennen über die Piste und überholen unterwegs alles, was langsamer ist als unser Bus. Eine korpulente Dame im Sari schickt bei jedem Überholmanöver ein Stoßgebet zum Himmel. Zu Recht, denn mehr als einmal schrammen wir haarscharf an einem Unfall vorbei.

Aufladen zur Rückfahrt.
Aber natürlich ist die Macht erneut mit uns, und so schaffen wir es unbeschadet, zurück ins lärmende Moloch von Kathmandu, wo wir erst mal in einen zünftigen Stau geraten. Ach, es tut so gut, wieder zurück in der Zivilisation zu sein. Die folgenden Tage bis zu Marvins Rückflug nach Deutschland und meinem Weiterflug nach Bangkok, werden noch die Annehmlichkeiten der Hauptstadt genossen und Souvenirs eingekauft. Ob es nun um Kaschmir-Schals, tibetische Thankas oder Gorkha-Messer geht, vor unserem subtilen Verhandlungsgeschick zittert das gesamte Thamel-Viertel. Dazwischen schlägt man sich den Bauch mit köstlichen und sehr preisgünstigen nepalesischen Spezialitäten voll. Auch ein letztes Dal-Bhat-Set muss noch einmal sein, aus Gründen der Nostalgie. Nachdem Marvin abgeflogen ist, besuche ich noch die ehemalige Königsstadt Patan im Kathmandu-Tal, die durch das Erdbeben leider auch schwer beschädigt wurde. Wer etwas über die buddhistische und hinduistische Götterwelt und Symbolik lernen möchte, sollte das hiesige Palastmuseum besuchen, das diesbezüglich sehr informativ ist.

Patan.
An dieser Stelle wird es wieder Zeit, ein kurzes Fazit zu ziehen. Unsere gut dreiwöchige Trekking-Tour durch das Tsum-Valley und rund um das Manaslu-Massiv habe ich als anstrengend und sehr bereichernd erfahren. Wir hatten nicht nur Gelegenheit, eine unvergleichlich eindrucksvolle Landschaft zu genießen, sondern auch mit der Kultur und Lebensweise der Tibeter und anderer Volksgruppen unmittelbar in Kontakt zu kommen. Außerdem bin ich der Ansicht, dass das Wandern auch mental sehr bereichernd ist und dem Geist eine willkommene Abwechslung von der alltäglichen Reizüberflutung bietet.

Luxusleben.
Wer jetzt auch neugierig geworden ist und Lust bekommen hat, auch das Tsum-Valley und die Gegend rund um das Manaslu-Massiv zu besuchen, dem würde ich empfehlen, das baldmöglichst zu tun. Es ist nicht absehbar, ob das Tsum-Valley noch immer so charmant sein wird, wenn es von einer Straße nach China durchzogen ist. Auch der Manaslu-Circuit nimmt stetig an Popularität zu und wird vielleicht in den nächsten Jahren zu einem zweiten Annapurna-Circuit avancieren. Die beste Zeit, in diese Gegend zu reisen, wird als der Beginn der nächsten Trekking-Saison im Oktober sein.

Alle versammelt auf Mu Gumba. (by Ishwuar)
Wer hierfür einen kompetenten Ansprechpartner braucht, dem kann ich die Trekking-Agentur Visit-Himalaya-Treks (https://www.visithimalayastrek.com/) empfehlen, über die wir unseren Guide Ishwuar, unseren Porter Dipar sowie die nötigen Permits organisiert haben. Euren Ansprechpartner Himal Tamang erreicht ihr unter visithimalayatreks@gmail.com.
visithimalayatreks@gmail.com

Copyright © 2016 Visit Himalaya Treks Pvt. Ltd. Contact | Visit Himalaya Treks Pvt. Ltd.
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Kapitel 26 - Bhimtang (3610) – Goh (2515) - Dharapani (1960)

Die letzten Trekking-Tage klingen geruhsam aus. Nachdem der Pass überwunden und damit auch die größte Herausforderung gemeistert ist, wähnt man sich mental bereits am Ende der Tour. Vermehrt gleiten die Gedanken in die Zukunft ab, planen die verbleibenden Tage in Kathmandu, freuen sich insgeheim auf ein bisschen Komfort und mehr Auswahl auf der Speisekarte. Wir beschließen, unsere Routenplanung etwas zu straffen und den Ausflug zum Bhimtang-See (den wir beim Abstieg vom Larke-La-Pass bereits gesehen haben) zu streichen. Unsere letzten Kilometer auf dem Manaslu-Circuit legen wir dann auch wieder in unserer alten Konstellation mit Magda, Thomas und Bal zurück, die in Bhimtang in der selben Unterkunft untergekommen sind wie wir.

Morgendliche Aussichten von Bhimtang.
Von nun an geht es kontinuierlich abwärts und zurück in die entwickelte Welt. Von Bhimtang aus marschieren wir am nächsten Tag gemütlich nach Goh und von dort aus am übernächsten Tag zum Endpunkt unserer Route in Dharapani, wo wir das Mittagessen einnehmen und per Jeep nach Besisahar weiterfahren. Von Beshisharar fahren wir schließlich am folgenden Morgen mit dem Bus zurück nach Kathmandu.

Am Fluss.
Auch auf dem Weg nach unten dürfen wir noch einmal eindrucksvolle Berg-Panoramen bewundern und das Manaslu-Massiv aus einer anderen Perspektive betrachten. Landschaftlich wird es wieder üppiger und grüner. Wir wandern durch schattige Nadelwälder und folgen erneut dem Verlauf eines kleinen Flusses. Bevor wir Goh erreichen müssen wir den großen Bergen dann vorerst Lebewohl sagen. Auf dieser Tour werden wir nur noch Hügel zu Gesicht bekommen. Auch kulturell verändert sich die Szenerie. In diesen Lagen leben keine Tibeter mehr, sondern das ebenfalls mehrheitlich buddhistische Bergvolk der Gunung.

Die letzten Bergpanoramen.
Je näher wir an Dharapani herankommen (das auch den Startpunkt des Annapurna-Circuit markiert), desto stärker häufen sich die Symptome der Zivilisation. Die Ankündigung von funktionierendem WLAN ist nicht mehr nur eine wage Prognose, sondern reelle Wirklichkeit. Sehr zu Marvins Freude ist auch die Versorgung mit (erschwinglichem) Gerstengold wieder gesichert. Von Goh bis Dharapani wurde bereits eine Art Straße (mehr ein ebener Schotterweg) mit schwerem Gerät am Hang errichtet. Ein Stück Weg vor der Ortschaft begegnet uns der Bagger, der offenbar dafür verantwortlich ist.

Im Wald.

Kapitel 25 – Dharmasala (4460) – Larke-La-Pass (5106) – Bhimtang (3610)

Die Überquerung des Larke-Passes ist in mehrfacher Hinsicht ein herausragendes Ereignis auf unserer Trekking-Tour rund um das Manaslu-Massiv. Zum Einen erreichen wir mit 5106 Metern den höchsten Punkt. Wir laufen teilweise nachts. Mit 8-10 Stunden sind wir an diesem Tag mit am längsten unterwegs. Außerdem sind die Bedingungen, was Höhe und Witterung anbelangt, im Vergleich zu den Etappen zuvor deutlich extremer. Es erwartet uns ein strammer Aufstieg um etwa 600 Höhenmeter nach oben und direkt danach ein sehr langer kräftezehrender Abstieg um ca. 1500 Höhenmeter. Für mich hält der Tag noch eine weitere Herausforderung bereit.

Sonnenaufgang.
Ich erwache in der Nacht früher als beabsichtigt und spüre meinen Darm. Er teilt mir mit Gluckern, Brodeln und einem starken Gefühl von Aufgeblähtheit mit, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Noch am Tag zuvor war ich enorm erleichtert, dass ich nach unserer Ankunft in Dharmasala keine Verdauungsbeschwerden mehr gefühlt habe und der 'Worst-Case' (mit Durchfall über den Pass) vermeintlich nicht eintreten würde. Nun wurde ich offenbar eines Besseren belehrt. Dennoch versuche ich gelassen zu bleiben und beobachte für einige Minuten die Empfindungen in meinem Unterleib, bevor ich mich aufsetze, meine Stirnlampe einschalte, die bereits am Vorabend zurecht gelegten Sachen verstaue und mich samt Rucksack und Wanderstöcken aus dem Zelt schäle. Die Nacht ist ruhig, sternenklar und eiskalt. Ein schneidender Wind bläst mir ins Gesicht. Der Schnee liegt inzwischen fast auf der Höhe meiner Knie. Die anderen sind bereits beim Frühstück. Schon auf dem Weg zur Hauptbaracke fühle ich einen alarmierenden Darmkrampf. Mein Körper will mir mitteilen, dass etwas dringend raus muss. In der Hauptbaracke angekommen lege ich schnellstmöglich meinen Rucksack ab und krame die Klopapierrolle hervor. Gerade so schaffe ich es noch mich auf die eisig-finstere Toilette zu flüchten.

Immer nach oben.
Leicht gequält.
Beim Frühstück bekomme ich kaum einen Schluck Haferschleim hinunter. Ich lasse ihn zur Hälfte stehen. Seltsamerweise kommt mir die Option, es mit der Überquerung heute Nacht bleiben zu lassen, gar nicht in den Sinn. Alle sind fertig zum Aufbruch. Marvin läuft bereits mit Dipar voraus. Ishwuar wartet noch auf mich. Ich suche die Tabletten, die den Durchfall vorübergehend stoppen sollen, kann sie aber nicht auftreiben. Bevor wir losmarschieren muss ich mich noch einmal entleeren. Mein Energielevel ist irgendwo sehr tief unterirdisch und das über Nacht halb gefrorene Trinkwasser reizt zusätzlich meinen Magen. Kurzum, ein wundervoller Morgen für eine Pass-Überquerung!

Die weiße Felswüste.
Noch in der Dunkelheit begeben wir uns auf den etwa vierstündigen Aufstieg zum Larke-La-Pass. Gute 600 Höhenmeter sind zu bewältigen, wobei es mal flach und mal steil bergauf geht, unterbrochen von einigen relativ-ebenen Abschnitten. Das Schneetreiben vom gestrigen Tag hat sich zwar gelegt, allerdings liegt die Landschaft nun unter einer dichten, weißen Decke begraben. Da schon einige Wanderer vor uns aufgebrochen sind und die Route eröffnet haben, können wir ihrer Schneise durch den frischen Schnee folgen, was die Wegfindung erheblich vereinfacht. Die Sterne leuchten am Himmel, in der Ferne lassen sich schon subtile Anzeichen des jungen Morgens erahnen, weiß und stumm ragen die Bergmassive um uns herum in die Höhe und ich muss mich schwer konzentrieren, mir nicht in die Hose zu machen. Die kommenden Stunden werden zu einer großen körperlichen und geistigen Herausforderung für mich. Mehrmals muss ich auf dem Weg nach oben, dem Druck in meinen Eingeweiden nachgeben, die Klopapierrolle hervorholen und durch den Schnee waten, um mir ein stilles Plätzchen abseits des Pfades zu suchen. Minusgrade, schneidender Wind, unebenes Terrain und der Umstand, dass ich vier Lagen Kleidung am Unterleib trage, machen die Prozedur nicht eben zu einer Wohltat. 

Oben.
Jede Entleerung raubt dem Körper wertvolle Energie, der benötigt, um in diese Höhen aufzusteigen, für die er eigentlich nicht geschaffen ist. Die Atemluft wird dünner und dünner, der Rucksack gefühlt immer schwerer und der Wind nimmt an Intensität zu. Das Licht der aufgehenden Sonne spendet etwas Wärme und Energie und taucht die umliegenden Gipfel in ein zart-rosafarbenes Licht. Allerdings fügt der Sonnenaufgang auch eine weitere Härte hinzu. In dieser Höhe knallt die Sonne wie durch ein Brennglas auf uns Wanderer hinunter und ihre Strahlen werden von der kristallenen Schneeoberfläche millionenfach reflektiert. Der Anblick ist derartig stechend, dass man ihn ohne Sonnenbrille nicht erträgt. Genauso verbrennt die Haut innerhalb von Minuten, wenn man sie schutzlos den Sonnenstrahlen aussetzt. Man läuft wie durch eine weiße Felswüste, die schmerzhaft schöne Panoramen bietet. Es fühlt sich ein bisschen so an, als wäre man als Raumfahrer auf einem fremden, lebensfeindlichen Planeten gestrandet.

Der Ritter der Klopapierrolle.
Der Aufstieg zieht sich lange hin und je näher wir unserem vorläufigen Ziel kommen, desto langsamer werde ich. Jeder Schritt wird zu einem kleinen Kraftakt und gefühlt alle 50 Meter bleibe ich stehen, unterdrücke meine Darmkrämpfe und mache einige tiefe Atemzüge. Während ich nach außen hin, nur sehr wenige, verbale Beschwerden von mir gebe, ertönt in meinem Bewusstsein ein ganzer Chor aus sich beklagenden Gedanken. Besonders häufig richten sie sich gegen die Verantwortlichen für das 'Egg-Fried-Poison' in Samdo, denen biblische Vergeltung an den Hals gewünscht wird. Andererseits bin ich mir in jedem Augenblick bewusst, dass auch dieser Zustand sich ändern wird und ich eines Tages herzhaft über diese Komplikation lachen werde, die meinem Trekking-Erlebnis nochmal eine zusätzliche Würze verliehen hat. Ishwuar indes wartet geduldig auf mein Vorwärtskommen. Ihm selbst scheint der Marsch nicht allzu viel abzuverlangen.

Mit Ishwuar.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt schließlich das bunt-beflaggte Ziel in Sicht, was einen weiteren Motivationsschub in mir auslöst. Die letzten Meter werden im Zeitlupen-Tempo bewältigt und unter massivem Einsatz der Trekking-Stöcke zur Entlastung der Beine. Das Erste, was die meisten anderen tun, die hier oben ankommen, ist für zahllose Fotos vor der offiziellen Höhenmarkierung posieren. Das erste, was ich hier oben auf 5106 Metern als Erstes tue, ist (man verzeihe mir die Ausdrucksweise: Scheißen gehen.

Schwere Lasten beim Abstieg.
Danach geht es mir auch auf wundersame Weise wieder besser. Die Turbulenzen nehmen ab, ich kann ein paar Kekse und Trockenfrüchte zu mir nehmen, posiere für ein paar Fotos, unterhalte mich mit Magda, Thomas und Bal, die ein paar Minuten vorher angekommen sind. Marvin und Dipar sind in ihrem Feuereifer bereits weiter marschiert. Ishwuar zündet sich vollkommen unbeeindruckt auf über 5000 Metern Höhe eine Zigarette an und inhaliert genüsslich den Rauch, wo andere kaum richtig atmen können.

Abstieg nach Bhimtang.
Lange Zeit können wir am Larke-La-Pass nicht verweilen. Wenn man aufhört sich zu bewegen, wird einem sehr schnell kalt, und so sind wir gezwungen, in Bälde den Abstieg nach Bhimtang in Angriff zu nehmen. Wer selbst bereits des Öfteren in den Bergen wandern war, weiß, dass solche Abstiege oft anstrengender und nervenzehrender sind als die Aufstiege. In unserem Fall ist der steile Pfad nach unten von einer eingestampften und rutschigen Schneeschicht bedeckt, auf der man sehr leicht die Balance verliert (zumindest als Europäer, die Nepalesen sind in dieser Hinsicht vergleichbar mit Bergziegen). Ebenso langsam wie es hinauf ging, geht es nun auch wieder hinunter. Die 1500 Höhenmeter abwärts bis ins Tal gestalten sich außerordentlich zäh. Trotz standhafter Versuche, die Konzentration zu wahren, lande ich mehr als einmal im Schnee und verbiege dabei einen meiner Wanderstöcke. Nach gut 10 Stunden Wanderschaft erreichen wir Bhimtang am Nachmittag, kurz bevor nasskaltes Wetter einsetzt und es anfängt zu regnen. Auch an Marvin ist der Marsch nicht spurlos vorübergegangen. Während des Abstieges hat er sich eine leichte Zerrung am Knie eingefangen. Dennoch haben wir es alle zusammen, halbwegs heil über den Pass geschafft und dürfen uns nun ein bisschen freuen. Wir sind am Leben, können noch jammern und unseren Enkeln voller Stolz von unseren glorreichen Verdauungsbeschwerden berichten.