Sonntag, 9. April 2017

Kapitel 8 - Kunming(Yunnan): This is the end...?

Mein letzter Stopp in China führt mich in die Hauptstadt der Provinz Yunnan, nach Kunming. Von hier ist es nur noch ein Katzensprung bis zum Himalaya und meinem nächsten Reiseabschnitt im luftig gelegenen Nepal. Die verbleibenden Tage in China lasse ich bei schönem Wetter gemächlich ausklingen. Kunming ist dafür der ideale Ort.

Kunming.
Die Stadt an sich hat ein paar nette Sehenswürdigkeiten zu bieten, jedoch nichts, was man unbedingt erlebt haben müsste. Es gibt die altbekannten überdimensionierten Shopping-Malls und Einkaufsparadiese, gewaltige Wohntürme und viel Betriebsamkeit auf den Straßen. Im Verhältnis zu anderen chinesischen Großstädten geht es in Kunming gefühlt etwas entspannter zu. 

Frühlingserwachen.
Stylische Band.
In den zahlreichen Parks lässt sich der einsetzende Frühling wunderbar genießen. Man schnuppert an blühenden Kirschbäumen und beobachtet die Einheimischen bei ihren öffentlichen Sing- und Tanzaktivitäten. Ein kleiner Abstecher führt mich noch in den nahegelegenen Ort Shilin, wo es einen beeindruckenden Wald aus Karstkegeln zu entdecken gibt. Über hunderte Millionen Jahre haben sich hier aus einem monolithischen Block viele einzelne scharfkantige Felszacken herausgebildet, die sich auf steilen, verschlungenen Pfaden erkunden lassen. Entfernt man sich ein Stück von den Hauptrouten und klettert in die tiefe Schluchten hinunter, findet man sogar etwas, das in China großen Seltenheitswert hat: ein Gefühl von Stille.

Der Felswald.
Failed Sefie.
Am Flughafen von Kunming wartend blicke ich noch einmal voll Dankbarkeit auf den Monat zurück, den ich im Reich der Mitte verbracht habe. Für mich ist diese Zeit mit unglaublicher Geschwindigkeit vergangen und gerne würde ich noch mehr davon zur Verfügung haben, um China bis in seine entlegendsten Winkel hinein zu erkunden. Ein Monat reicht für einen soliden ersten Eindruck, doch könnte man locker mindestens einen Monat in jeder Provinz verbringen. Allein Yunnan hat eine ganze Fülle von interessanten Orten zu bieten. Ganz zu schweigen von den Küstenregionen, der Kultur Tibets, den Steppen der inneren Mongolei oder der alten Seidenstraße in Xinjiang. So verabschiede ich mich mit dem Vorsatz eines Tages wiederzukommen und das Verpasste nachzuholen!

Chinese Stonehenge.


Kapitel 7: Impressionen von der chinesischen Küche

Seit ich in China unterwegs, verspüre ich einen schier unstillbaren Appetit. Das chinesische Essen, das in Peking, Shanxi, Shaanxi, Guangxi und Yunnan kennengelernt habe, ist schmackhaft, günstig, leicht verfügbar und Sucht erregend. In jeder Stadt laden kleine Restaurants und Essensstände zum spontanen Genuss ein. Da ergänzt man den Tagesablauf auch gerne mal um ein zweites Frühstück oder ein drittes Abendessen. Gerade weil ich – auch zur Vorbereitung auf den Himalaya – versuche möglichst viele Strecken zu Fuß zu bewältigen, ist Energiezufuhr jederzeit willkommen. Auf meiner Reise habe ich vielleicht einen winzigen Bruchteil Chinas kennengelernt und dementsprechend auch nur einen winzigen Bruchteil der großen kulinarischen Vielfalt dieses Landes entdecken können. Und das vorhandene Angebot komplett ausprobieren konnte ich leider auch nicht. Sonst wäre ich jetzt vermutlich sehr viel ärmer und sehr viel beleibter. 

Früshtück
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, nicht jeden Tag entweder Reis oder Nudeln oder beides zu essen. Meistens beides. Langweilig wird es trotzdem nicht, weil die Zubereitungsformen je nach Stadt oder Provinz variieren. Isst man in Peking etwa traditionell Hartweizen-Nudeln, sind es im südlich gelegenen Guilin verbreitet Reisnudeln. Generell ist der Reis eher das Grundnahrungsmittel der Südchinesen, da es in vielen nördlichen Gebieten zu trocken für den Reisanbau ist. Allgemein verbreitet sind hingegen die dicken, kloß- oder fingerförmigen Teigtaschen, die mit Fleisch oder Gemüse gefüllt sind und gerne zum Frühstück gegessen werden. Dazu noch eine warme Sojamilch, ein mit Gemüse gestopfter Teigfladen (fast wie ein vegetarischer Döner), fritiertes Gebäck, in Blätter eingewickelter Klebereis, marinierte hartgekochte Eier oder weiche, gedämpfte 'Semmeln' aus Weißmehl. Die Chinesen mögen es also morgens deftig und das findet meine volle Zustimmung. Die Backkunst scheinen sie indes nicht perfektioniert zu haben. Zu den wenigen Dingen, die ich von zu Hause vermisse, gehören deutsche Backwaren.

Beim Fischessen.
Natürlich hat auch jeder Ort seine eigenen Spezialitäten. Peking etwa ist bekannt für seine gebratene Ente. In Wutai-Shan werden schmackhafte Pilzgerichte zubereitet. Pingyao rühmt sich seines Rindfleisches und in Yangshuo bekommt man delikaten Süßwasserfisch aus dem Li-Fluss. Nebenbei gibt es auch noch ausgefallenere Spezialitäten, über die man im Westen gerne die Nase rümpft. Hundefleisch beispielsweise oder Insekten und Skorpione. Ich habe mich aus Neugier in Yangshuo und Guilin auf die Suche danach begeben und ein paar Experimente gewagt. Leider mit wenig befriedigendem Ergebnis.

Lebendfutter.
Im Markt.
Das Ausfindigmachen eines Hundefleisch-Restaurant mündete in einer Odyssee durchs nächtliche Guilin, die mich schließlich in ein dunkles, schäbiges Restaurant in einer Seitenstraße führte. Was ich dort verzehrt habe, wurde mir als Hundefleisch verkauft, bestand aber hauptsächlich aus Knochen, Sehnen und Knorpeln. Wie schmeckt also Hund? Wenn das, was mir da vorgesetzt wurde, Hund war, dann schmeckt Hund für mich wie Schwein. Hab ich mich komisch oder schlecht dabei gefühlt, Hund zu essen? Um ehrlich zu sein nicht komischer oder schlechter als beim Verzehr von Schwein, Rind, Ziege oder Huhn. 

Käfer-Pommes.
Ein bisschen mehr Glück hatte ich bei der anderen Kategorie von exotischem Essen. Auf einem Nachtmarkt in Guilin fand ich einen Stand der verschiedene Formen von Insekten und ähnlich appetitliche Ware feilbot. Zur Auswahl standen Skorpione, Heuschrecken, Maden und undefinierbare Käfer mit Flügeln. Ich habe nahezu das gesamte Sortiment durchprobiert und muss gestehen, dass ich kaum geschmackliche Unterschiede feststellen konnte. Das lag vermutlich daran, dass sämtliche Happen in der selben Frittöse frittiert und mit den gleichen Gewürzen behandelt wurden, so dass am Ende alles schmeckte wie Chips.
Fry baby, fry!

So gut mir das chinesische Essen einerseits geschmeckt hat, so wenig kann ich mir doch vorstellen, mich langfristig auf diese Weise zu ernähren. Die Gründe dafür sind zahlreich. Beispielsweise ist das Essen von der Straße sehr stark salzhaltig und fettig. Auch ist es schwierig, fleischlose Gerichte zu bekommen. Des Weiteren habe ich generelle Zweifel an der Qualität der Lebensmittel. Verseuchte Böden und Gewässer sowie mangelnde Sicherheitsstandards bringen nicht eben die gesündeste Nahrung hervor. Doch will ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Wie bereits erwähnt habe ich nur einen oberflächlichen Eindruck von chinesischen Ernährungsgewohnheiten gewonnen.

Kapitel 6 - Guilin/Yangshuo(Guangxi): Ein Hauch von Apokalypse

Nur zwei Flugstunden trennen mich von einem anderen China. Der Norden ließ sich noch als kalt, trocken und braun charakterisieren. Hier im Süden, in Guangxi, herrschen fast gegenteilige Zustände. Das Klima ist deutlich milder und wärmer. Die Regenzeit im Frühjahr bringt nahezu täglich Schauer mit sich und die Landschaft ist geprägt von einem kräftigen, atmenden Grün. Ein Grün, das selbst jenen typischen Anblick einer chinesischen Großstadt deutlich aufwerten kann, der bei westlichen Betrachtern oft Grausen verursacht. So auch bei Guilin, was sich im Hinblick auf Architektur und Verkehrsaufkommen wenig von anderen Städten unterscheidet. 

Blick auf Guilin.
Allerdings hat Guilin das Glück, in eine Landschaft aus beeindruckenden Karstfels-Formationen eingebettet zu sein und von einem System aus Flüssen und Kanälen durchzogen zu werden. Die Hauptstraßen sind von Baumreihen flankiert und an den Flussufern sprießt der Bambus in die Höhe. Shoppen gehen kann man natürlich auch hier nach Herzenslust. Die charakteristische Karstlandschaft ist eines der bekanntesten Motive in der chinesischen Landschaftsmalerei und obendrein ein fruchtbares Tee-Anbaugebiet. Dementsprechend oft wird man von eifrigen Schleppern zur Tee-Verkostung oder Kunst-Ausstellung gebeten. Ich habe mich da lieber auf die Suche nach exotischeren Spezialitäten begeben. Dazu mehr im Sonderbeitrag über das Essen in China. 

Am Fluss.

Auf der Brücke.
Zum Eintauchen in die malerische Atmossphäre der Gegend, ist Guilin nur ein erstes Appetit-Häppchen. Die kleinere Stadt Yangshuo, die ein Stück weiter den Li-Fluss abwärts gelegen ist, bietet noch bessere Möglichkeiten das Umland zu erkunden. Dorthin gelangt man am besten per Bambus-Floss. Während der Floss-Fahrt fühle ich mich spontan an den Film 'Apokalypse Now' erinnert. Das Boot tuckert gemächlich über den grünlichen Fluss. Zu beiden Seiten erheben sich mächtige, Nebel verhangene Felskegel, die über und über mit Vegetation bedeckt sind. Dichter Bambus und Palmen säumen die Ufer. Leichter Nieselregen spritzt mir ins Gesicht, während mein chinesischer Sitznachbar Selfies schießt.

Flossfahrt.
Von Yangshuo aus unternehme ich einige Exkursionen ins Umland und lerne dabei das 'idyllische' Leben in der chinesischen Provinz kennen. Zu Fuß und per (viel zu kleinem Fahrrad) bewege ich mich an den Flussufern entlang, erklimme ein paar Hügel und genieße die Üppigkeit der Landschaft, die beinahe tropischen Charakter aufweist. Es geht durch verschlafene Dörfer und überschwemmte Felder, über verschlammte Schlaglochpisten und vorbei an imposanten Felsformationen.

Am Aussichtspunkt.
 
Üppiges Grün.
Das Landleben in dieser Gegend mag auf den ersten Blick noch sehr ursprünglich wirken. Schwere Maschinen sieht man selten, eigene Muskelkraft und träge Wasserbüffel scheinen einen großen Teil der Arbeit zu besorgen. Doch die Moderne ist auch hier nicht spurlos vorübergegangen. Dafür sehen die jungen Pflänzchen doch ein bisschen zu maßgeschneidert und ergonomisch aus. Gelegentlich kann man Dorfbewohner mit blauen Tanks auf dem Rücken beim vergnüglichen Unkrautspritzen beobachten und den würzigen Duft nach Pestizid in der Luft schmecken. Auch auf die Reinheit des Flusswassers würde ich nicht unbedingt meine zweite Niere verwetten und der überall herumliegende Plastikmüll ist sowieso ein alter Hut. 

Ein bisschen Blau im Hintergrund.
Viele Dorfbewohner leben in wenig ansehnlichen Funktionsblöcken, die sich teilweise noch im Rohbau befinden und inmitten all der Naturschönheit wie Fremdkörper erscheinen. Doch genug gemault. Ich habe meine Zeit in Guilin und Yangshuo sehr genossen. Nur würde ich mir wünschen, dass man es mit der Bebauung und Erschließung nicht übertreibt, damit auch viele nach mir noch in diesen Genuss kommen können.

Aggressives Federvieh.



Dorfleben.

Kapitel 5 - Xi'an(Shaanxi): Terra-Cotta-King-Kong

Auf einer trägen 10 stündigen Zugfahrt geht die Reise weiter von Shanxi ins benachbarte Shaanxi, genauer gesagt in die Provinzhaupstadt Xi'an. Xi'an könnte eine von vielen Millionenstädten in China oder sonst wo auf der Welt sein. Es gibt gewaltige Wohnsilos, die in Reih und Glied nebeneinander geklotzt wurden, es gibt U-Bahnen und Shopping-Malls, es gibt viele Bausünden und kaum ein Fleckchen Erde, das nicht zubetoniert wurde, es gibt Wallmarkt, KFC, Burgerking, McDonald's, Starbuck's, Pizzahut, Gucci, einen Applestore, Audi Q7 und was man sonst noch zum Überleben in der Moderne benötigt, es gibt viele Menschen, Lärm und noch mehr Feinstaub.

Blick von der Mauer.
Dabei kann Xi'an auf eine glanzvolle Vergangenheit zurückblicken: Ehemalige Reichshauptstadt unter den Tang-Kaisern sowie als Ausgangspunkt der berühmten Seidenstraße ein kultureller Schmelztiegel, der seinesgleichen gesucht hat. Vom vergangenen Ruhm zeugen noch heute die vielen archäologischen Stätten, die sich in und um die Stadt herum verteilen. Am populärsten sind sicherlich die Terra-Cotta-Krieger, an denen kaum ein Besucher vorbeikommt. So auch ich nicht. 

Must see?!
Leider habe ich persönlich nicht allzu viel davon mitgenommen, obwohl die Terra-Cotta-Krieger zu Recht als einzigartige Kulturschätze gelten. Doch gerade der hohe Bekanntheitsgrad in Kombination mit dem großen Marketingaufwand schaffen Erwartungen, die in der Wirklichkeit kaum noch erfüllbar sind. Diese Wirklichkeit besteht aus viel Kommerz, klaustrophobischem Gedränge und einem Konzept, das im Kern darauf abzielt, die Besucherzahlen zu maximieren. Das macht Einbußen an anderer Stelle fast unvermeidlich. Das individuelle Besuchserlebnis bekommt den Charakter einer Massenware. Doch damit stehen die Terra-Cotta-Krieger nicht alleine da. Es ist ein Fluch, den alle international gehypten Sehenswürdigkeiten anziehen wie Honig die Fliegen. Doch auch das sollte man irgendwie genießen lernen.

Auf dem Berg des schwarzen Pferdes.
Generell scheint der Tourismus-Sektor in China ein stark expandierender und hart umkämpfter Markt zu sein. Es wird viel (und vielleicht nicht unbedingt mit Fingerspitzengefühl) investiert und dementsprechend werden Renditen erwartet. Dies hat zur Folge, dass so gut wie jeder Ort, der in irgendeiner Form einladend wirkt, mit Zäunen und Ticketschaltern versehen wird. Doch mit ein bisschen Dreistigkeit und einheimischer Hilfe lassen sich auch solche Barrieren gelegentlich umgehen. Über versteckte Hinterhöfe, Trampelpfade und auch mal quer Feld ein zeigt mir ein junger Chinese den inoffiziellen Weg hinauf zum Berg des schwarzen Pferdes, von wo aus man eine tolle Sicht auf Xi'an hat. An diesem Tag habe ich noch mehr Glück. Das Wetter ist sonnig und es herrscht halbwegs klare Sicht. Für den Nachmittag folge ich dann noch einer Einladung und darf mir King Kong in einem chinesischen Kino ansehen. Leider nur mit chinesischen Untertiteln.

Durchs Muslimviertel.
Was meinen Xi'an-Besuch noch enorm bereichert, ist das pulsierende muslimische Viertel im Zentrum der Altstadt. Hier fühlt man sich beinahe wie in eine andere Welt versetzt. In einem Strom von Menschen treibe ich durch ein enges Gassen-Gewirr und sauge die Atmossphäre in mich auf, die an einen orientalischen Basar erinnert. Von überall her werde ich mit exotischen Reizen bombadiert: grelle Lichter, laute Stimmen und intensive Gerüche. Es dampft, es bruzelt, und man kann sich kaum entscheiden, welche Köstlichkeit zuerst probiert werden soll. Das gebratene Fleisch am Spieß, die handgemachten Nudeln, das Nussgebäck, die frittierten Eier oder doch dieses andere appetitlich wirkende Ding, das man nicht recht einordnen kann? 

Lädt zum Spachteln ein.
Am Ende des Tages ist der Bauch jedenfalls meistens voller als es vernünftig gewesen wäre. Ist dem leiblichen Wohl dann zur Genüge gedient, lohnt sich ein kleiner Abstecher zur großen Moschee des Viertels, einer wahren Oase der Ruhe inmitten des Markt-Trubels. Hier sind die arabisch-muslimischen Stil-Elemente so stark mit traditionell-chinesischer Architektur verschmolzen, dass man die Moschee kaum mehr als solche erkennen kann. Der Gebäudekomplex erinnert viel mehr an einen chinesischen Tempel. Sogar das Minarett hat die Form einer Pagode. Könnte man sich das in Deutschland vorstellen? Minarette, die aussehen wie Kirchtürme?

Die Moschee. Wer hätte das erkannt?

Kapitel 4 - Pingyao(Shanxi): Das bessere Datong

Die Weiterreise anch Pingyao gestaltete sich mal wieder etwas umständlich. Keine Chance auf Direktverbindungen. Es muss ein Umweg von Wutaishan über Taiyuan, der Provinzhauptstadt Shanxis, zum Zielort genommen werden. Am Busbahnhof in Wutaishan treffe ich einen spaßigen Chinesen, der aus der Inneren Mongolei stammt und sofort meine Nähe sucht. Die verbale Kommunikation stößt sehr schnell an ihre Grenzen, doch dafür lässt er die Bilder auf seinem Smartphone sprechen. 

Im historischen Pingyao.
Er verfügt über eine ganze Kollektion von Fotos, auf denen westliche Ausländer abgebildet sind, und er präsentiert diese Kollektion mit dem Stolz eines Sammlers, der sich dem Aufspüren wunderlicher Kreaturen verschrieben hat. Natürlich finde auch ich Eingang in seine Sammlung. Verschiedene Körperteile werden eingehend begutachtet und abphotographiert. Besonders bemerkenswert findet er meinen Riechkolben und meine langen Stelzen. Da er mich anscheinend ein Stück weit als seine Entdeckung betrachtet, verspürt er wohl das Bedürfnis, mir auf meinem weiteren Weg beizustehen. In Sahe angekommen spendiert er mir eine Motorad-Rikscha und bringt mich persönlich zum richtigen Busbahnhof für die Weiterfahrt nach Pingyao. 
Die Skyline.
Pingyao hat deutliche Parallelen zu Datong. Darunter fallen die Ming-zeitliche Architektur, die rechteckige Stadtmauer, die den Altstadt-Kern umschließt sowie die beschaulichen Gässchen mit allerhand Läden und Restaurants, die zum Flanieren und Erkunden einladen. Anders als in Datong ist die Kulisse in Pingyao jedoch kein auf dem Reisbrett entworfenes Bauprojekt zur regionalen Wirtschaftsförderung, sondern ein historisch gewachsenes Kulturdenkmal. In den verkehrsberuhigten Gassen kann man sich wunderbar treiben lassen, durch die skurrilen Souvenierläden bummeln und sich in den zahlreichen Garküchen der Völlerei hingeben. Ein paar Tempel und Museen gibt es natürlich auch zu besichtigen, wobei diese eher eine nette Sättigungsbeilage darstellen, die das Gesamtbild stimmungsvoll abrundet.

Was hat sich wiederholt?
Devotionalienladen.
Pingyaos Filetstück ist seine authentisch wirkende und entschleunigte Atmossphäre. Die allgegenwärtigen Menschenmassen und das riesige Verkehrsaufkommen in chinesischen Großstädten lassen einen auf Dauer ermüden. Da liefert Pingyao eine willkommene Verschnaufpause. Teile der Altstadt sind nur für Fußgänger zugänglich und so kann man einfach mal gedankenverloren vor sich hin schlendern, ohne ständig angehupt zu werden oder irgendwelchen Fahrzeugen ausweichen zu müssen. Wem von vielen Schlendern dann die Sohlen brennen, kann sich für wenig Geld eine traditionelle Fußmassage gönnen. Klarer blauer Himmel ist leider wie in den meisten Städten Shanxis eine absolute Ausnahmeerscheinung. 

 

Kapitel 3 - Wutai Shan(Shanxi): Die Räucher-Berge

Ich schätze es ist meiner kleinen Schwäche für Berge und Heiligtümer sowie insbesondere Heiligtümern auf Bergen geschuldet, dass ich mich zum Wutaishan-Gebirge aufmachte, einem der vier heiligen Berge des Buddhismus in China. Allein die Anreise gestaltet sich schwierig, da im März keine Saison ist und die touristische Infrastruktur noch im Winterschlaf ruht. Direkte Busse von Datong nach Wutaishan also Fehlanzeige. Erstmal per Bus nach Sahe und von dort aus irgendwie weiterkommen zum heiligen Berg. Ob per Bus, Sammeltaxi oder Eselsgespann, man wird schon sehen. Meine erste Busfahrt in China werde ich jedenfalls als eindrückliches Erlebnis in Erinnerung behalten.

Auf der ersten Busfahrt.
Zum Einen habe ich bisher keine Busfahrt erlebt, bei der ich derart heftig durchgeschüttelt wurde wie bei dieser. Die Strecke bestand aus einer einzigen Schlaglochpiste. Des Weiteren hat mich erstaunt, wie wenig Wert die Chinesen auf die Reinerhaltung von öffentlichen Bussen zu legen scheinen. Als wir nach drei Stunden Fahrt in Sahe ankommen, gleicht das Fahrzeug einem Schlachtfeld. Zigarettenkippen und jegliche Art von Müll waren einfach auf dem Boden gelandet. Doch niemand schien sich daran zu stören, nicht einmal der Busfahrer. Der schönste Aspekt an der Fahrt war jedoch die Begegnung mit ein paar chinesischen Schulkindern, von denen zwei so mutig waren, ihre Englischkenntnisse an mir zu erproben. Die Konversation hatte zwar wenig Inhalt, dafür aber umso mehr Charme.

Auf dem Weg zum heiligen Berg.
In Sahe schien dann erstmal Ende zu sein. Der Busbahnhof erschien verlassen. Eine Handvoll Einheimischer stand um mich herum und musterte mich wie einen Außerirdischen. Kommunikationsversuche schlugen reihenweise fehl. Doch wieder einmal hatte ich Glück. Eines der Schulkinder aus dem Bus, ein aufgewecktes kleines Mädchen, legte sich mächtig dafür ins Zeug, mir eine Mitfahrgelegenheit nach Wutai Shan zu besorgen. Und tatsächlich zeigte sich einer der Anwesenden bereit, mich zum heiligen Gebirge mitzunehmen. Nennt man das das Glück des Taugenichts?

Tempellandschaft.
Das kleine Städtchen Taihuai liegt eingebettet in ein Tal zwischen den fünf höchsten Erhebungen des Wutaishan-Gebirges. Man lebt hauptsächlich von den Tempeln und vom Tourismus. Die winterlichen Temperaturen im März halten die großen Schwärme noch auf Distanz. Ich scheine der einzige Ausländer weit und breit zu sein, werde mit Interesse begutachtet und darf gelegentlich für ein Foto posieren. Das spirituelle Erwachen ist indes ausgeblieben, obwohl ich bestimmt noch nie so viele eindrucksvolle Tempel und Heiligtümer innerhalb von drei Tagen besucht habe wie während meines Aufenthalts in Wutaishan.

Tempelrunmmel.
Da lassen sich Buddhas, Boddhisatvas und andere himmlische Kreaturen mit Räucherwerk, Verbeugungen, Geld und Keksen für ihren Segen bestechen. Dass der Smog auch nicht vor dem heiligen Gebirge halt macht, dürfte unter anderem an den Unmengen von Räucherstäben liegen, die hier täglich angezündet und in riesigen Öfen vor den Tempeln verheizt werden. Drum herum wird alles feilgeboten, was das Pilgerherz begehrt. Von Solar-getriebenen Gebetsmühlen bis hin zum Miniatur-Buddha. Ob sich hinter den vielen standardisierten Ritualen echte Überzeugung verbirgt, ist von außen schwer zu beurteilen. Bei manchen wirkt die Anbetung äußerst mechanisch und mehr wie eine lästige Pflicht als eine bewusste Handlung. Andere rutschen auf Knien und in tiefes Gebet versunken die unzähligen Stufen zu einem Bergtempel hinauf, wo kahlrasierte Mönche und noch mehr Souvenierhändler sie erwarten.

Tempelhunde.
Man kann sich fragen, was wohl der alte Siddharta Gautama zu dem ganzen Rummel sagen würde. Sitzt er etwa gerade mit seinem Hofstaat in den Himmeln auf einer Wolke, schlürft einen Mai Thai nach dem anderen, inhaliert den göttlichen Feinstaub, der pausenlos zu ihm aufsteigt, und fühlt sich großartig und wohlwollend, weil so viele Menschen seinen Standbildern huldigen? In mein Bild von dieser Person will das nicht so recht passen. Für mich bedeutet ein Kerngedanke der buddhistischen Lehre, dass man sich dem Zustand der 'Befreiung' (was auch immer man darunter verstehen mag) nur durch eigenes Bemühen und eigenes Tun annähern kann. Rituale können dabei unterstützend wirken, aber keinesfalls können sie den Prozess der inneren Transformation ersetzen. Leider sieht es so aus, als hätte sich der Buddhismus so wie er vielerorts in Asien praktiziert wird, sehr weit von seinen Wurzeln entfernt.

Auf dem Grabhügel.


Kapitel 2 - Datong(Shanxi): Denkmalschutz mit der Abrissbirne

Die Weiterreise nach Datong erwies sich als längere Odyssee mit glücklichem Ausgang. Wie oben bereits angedeutet erwies sich das Vorspiel zu meiner ersten Bahnfahrt in China als etwas turbulent. Ich hatte schon von vornherein mehr Zeit eingeplant als ich für nötig hielt, da ich das Ticket bereits besaß und glaubte, alles Weitere würde bequem von statten gehen. Am Ende erwies sich diese zusätzlich eingeplante Zeit als entscheidend. Ich erreichte etwa 5 Minuten vor Abfahrt und reichlich verschwitzt meinen Sitzplatz im Zug. Ich will an dieser Stelle nicht zu tief ins Detail gehen, was die Gründe für die Verzögerung angeht. Kurz gesagt bestanden sie in einer Mischung aus babylonischem Sprachengewirr, meiner Unerfahrenheit und der Vorliebe der chinesischen Behörden mehrfach Personen, Gepäck und Dokumente zu überprüfen. Die Zugfahrt an sich gestaltete sich dann recht angenehm, auch wenn die Verhältnisse natürlich etwas beengt waren. In den 7 Stunden gemächlicher Bahnfahrt machten es sich die Chinesen bequem, schwatzten, spielten laut kitschige Musik und verzehrten ihr mitgebrachtes Essen, das sogar mit dem Fremden geteilt wurde. Wann erlebt man sowas schon mal auf einer Fahrt mit der deutschen Bahn? Im Vergleich zu deutschen Zügen brauchen chinesische auch deutlich mehr Personal. Jeder Waggon hat eine eigene Service-Kraft, die nebenbei den Müll einsammelt, durchfegt und den nächsten Halt ansagt.

Auf dem Weg nach Datong.
 Draussen vor dem Fenster zog die Provinz Shanxi vorbei. Meine spontanen Eindrücke von Shanxi lassen sich spontan mit drei Adjektiven umschreiben: kalt, karg und knochentrocken. Die vorherrschende Farbe ist Braun in unterschiedlichen Schattierungen. Ohne Zweifel hat es in Shanxi während der früheren Kaiserzeit glanzvolle Epochen gegeben, doch heute scheint die Region in erster Linie vom Kohleabbau geprägt zu sein. Der Zug rollt vorbei an qualmenden Schloten und ärmlich wirkenden, staubigen Siedlungen, die aus einförmigen Bauklötzchen-Häusern bestehen. Vielleicht wirkt die Szenerie ja im Sommer etwas einladender, wenn ein paar Blätter an den dürren Bäumen hängen und die Felder nicht gerade brach liegen. Der März zählt eher noch zum Winter.

Lovely Datong.
Nach der Ankunft in Datong gerate ich dann in eine Situation, die ich auf der Reise noch des Öfteren erleben werde. Ich stehe schwerbepackt am (Bus)-Bahnhof, habe keine Orientierung und niemanden um mich herum, der versteht, was ich sage. Dabei erscheint die Sache dieses Mal sehr einfach. Ich habe bewusst eine Unterkunft gebucht, die nur idiotensichere 50 Meter vom Bahnhof entfernt liegt, damit ich nachts nicht durch eine fremde Stadt irren muss. Leider habe ich Name und Adresse der Unterkunft nicht auf Chinesisch und der Kartenausdruck auf der Buchungsbestätigung erweist sich als äußerst unpräzise. Ich versuche also meine Situation ein paar Taxi-Fahrern zu erklären. Wir kommunizieren per Smartphone-Übersetzungsprogramm. Nach einer ermüdenden halben Stunde bin ich noch immer so klug als wie zuvor, habe aber mehrfach Angebote für Touren zu den einschlägigen Sehenswürdigkeiten erhalten. Einer schicksalhaften Fügung sei Dank erspäht einer von meinen geschäftstüchtigen Freunden doch noch die Leuchtreklame der gsuchten Unterkunft. Sie liegt in Sichtweite und ist deutlich in lateinischen Buchstaben ausgeschildert. Das nennt man wohl einen spätabendlichen Fail.

Blick auf die 'Altstadt'.
Was gibt es zu Datong zu sagen? Nun Datong machte einen seltsamen Eindruck auf mich. Einerseits wirkt die Stadt wie der Stereotyp einer gesichtslosen Industrie-Metropole in China. Die Menschen hausen in gewaltigen, dicht aneinander gereihten Wohnsilos. Eine allgegenwärtige Dunstglocke trübt den Himmel ein und die Straßen leiden unter ständiger Verstopfung. Noch immer dominiert die geschmackvolle Funktionsarchitektur der Mao-Ära. Kurzum viel Verkehr, viel Beton und viel schlechte Luft. Doch in Datong will man sich zurückbesinnen auf seine historischen Wurzeln und das zu neuem Leben erwecken, was die Kulturevolution und insbesondere auch der Wirtschaftsboom der letzten Jahrzehnte zunichte gemacht haben. 

100% real Fake.
Für angeblich stolze 6 Milliarden Euro wird im Zentrum eine neue 'Altstadt'-Kulisse aus dem Boden gestampft. Es wird geklotzt und nicht gekleckert. Das Rezept lautet sinngemäß: erst alles abreißen und dann im Stile der Ming-Dynastie wieder aufbauen. Die wuchtige Neuauflage der Stadtmauer steht schon. Innen drin wird fleißig abgerissen, umgesiedelt und neugebaut. Es werden also alte Häuser abgerissen, um neue Häuser zu bauen, die älter aussehen sollen als die alten Häuser, die man abgerissen hat. Bisher wirkt das Ganze noch ziemlich provisorisch. Etwa wenn das beschauliche Altsdtadtgässchen plötzlich in eine Trümmerlandschaft übergeht oder eine Ansammlung von Siebziger-Jahre-Wohnblocks das 'historische' Flair entzaubert. Doch selbst angenommen, die Makel wären beseitigt, würde mir diese Altstadt vermutlich noch immer wie die Kulisse eines billigen chinesischen Historienschinkens erscheinen, die zu einem Sight-Seeing- und Shopping-Paradies umfunktioniert wurde. 

Höhlenkunst.
Doch glücklicherweise hat Datong noch mehr zu bieten. Nämlich in erster Linie einen Status als Transportknotenpunkt zu den umliegenden Attraktionen, die auf jeden Fall einen Besuch lohnen. Darunter ein an einer Felswand hängendes Kloster, die größte Holzpagode der Welt und die Welterbestätte der Yungang-Grotten, einem System aus buddhistischen Höhlentempeln aus der Dynastie der Nördlichen Wei.

Räucherwerk.




Kapitel 1c: McMao's und die ulkige Geschichte vom Sozialismus in China

Ich kann nun wahrlich nicht von mir behaupten, ein Kenner der chinesischen Seele zu sein. Alles, was ich hier berichte, beruht auf Informationen aus zweiter Hand und meinen persönlichen Beobachtungen. Für mich als Außenstehenden fühlt sich die momentane Szenerie in Peking wie hautnahe Realsatire an. Gerade tagt in Peking wie alle 5 Jahre der nationale Volkskongress. Böse Zungen behaupten, dieses Gremium könnte sich auch aus Pandabären und Chihuahuas zusammensetzen, weil seine alleinige Daseinsberechtigung darin bestünde, die 'Vorschläge' der KP-Führung begeistert zu befürworten. 

Blick auf das Tagungsgelände.
Jedenfalls erscheint die Sicherheitslage in der Stadt angespannt. Ob das an der Tagung des Volkskongresses liegt oder einfach dem Normalzustand entspricht, kann ich nicht beurteilen. Kameras sind auf öffentlichen Plätzen allgegenwärtig, ebenso wie uniformierte Polizeikräfte, die misstrauisch ihre Blicke über die Menschenmengen schweifen lassen. An jeder U-Bahn-Station und an jedem repräsentativen Gebäude wird das Gepäck durchleuchtet. Selbst in der Herberge will die zierliche Rezeptionistin jedes Mal mein Gepäck nach gefährlichen Gegenständen durchsuchen. Anweisung der Polizei. Nach halbherzigem Abtasten meines Rucksacks kommt sie vermutlich zu dem Schluss, dass sie keine Lust darauf hat, gründlicher zu suchen. Puh, nochmal davon gekommen. Ein Schweizer Taschenmesser in den falschen Händen kann eine echte Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellen. Eine Fahrlässigkeit, dass da der deutsche Staat noch nicht reagiert hat! 

Viele Fahnen.
Wie dem auch sei, das sozialistische Peking scheint sich jedenfalls auf das Areal des Tianamen-Platzes zu bschränken. Hier weht ein Meer aus roten Fahnen. Hier regiert die quaderförmige Monumental-Architektur. Hier zeugen pathetische Standbilder von der Befreiung des Proletariats. Und hier insbesondere äußert sich der omnipräsente Kult um Mao Zedong. Das Bildnis des großen Vorsitzenden prangt noch immer großformatig auf dem Tor des himmlischen Friedens. Nur ein paar Steinwürfe entfernt findet sich sein einbalsamierter Leichnam, der zusammen mit Devotionalien aus Maos Leben bestaunt werden kann. Sein Mausoleum befindet sich im Zentrum des Tianamen-Platzes, der wiederum für das Zentrum des gesamten Landes steht. Mehr Symbolik geht kaum. Vermutlich ist das Konterfei von Mao das, was der Durchschnittschinese im Alltag mit am häufigtsen zu sehen bekommt. Es befindet sich nämlich auf der Frontseite aller Yuan-Banknoten.

Er wacht über uns alle.
Für Außenstehende mag diese nahezu gottgleiche Überhöhung des großen Vorsitzenden befremdlich erscheinen. Maos 'großer Sprung nach vorne' soll durch groteske Fehlplanungen und Zwangskollektivierungen erheblich dazubeigetragen haben, dass etwa 20-30 Millionen Chinesen den Hungertod sterben mussten. Ganz zu schweigen von der Kulturrevolution, die nicht nur eine massive Welle der politischen Verfolgung mit mitsichgebracht und die Gesellschaft gespalten, sondern auch das jahrtausendealte kulturelle Erbe Chinas irreperabel beschädigt hat. Andererseits steht Mao wohl auch wie kaum eine andere Persönlichkeit in der jüngeren chinesischen Geschichte für Aufbruch und die Hoffnung auf eine positive Neuordnung der Gesellschaft. Betrachtet man die Jahrzehnte und Jahrhunderte vor der Gründung der Volksrepublik, so waren diese unter anderem geprägt von Bürgerkrieg, Instabilität, gewaltsamer Fremdherrschaft durch westliche und japanische Besatzer sowie den längst überkommenen feudalen Herrschaftsstrukturen der Qing-Dynastie. 

Da wird er auferstehen.
Für den Durchschnittschinesen von damals, also den seit jeher geknechteten Bauern in der Pampa, dürfte der Sieg der Kommunisten zunächst ein Anlass zur Hoffnung gewesen sein. Dass sich Maos politische Agenda in der Praxis als derartig verheerendes Desaster entpuppen würde, war zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich kaum absehbar. Genauso wenig absehbar war, dass man im Peking des Jahres 2017 kaum 400 Meter vom Mao-Mausoleum entfernt einen BigMac essen, StarBucksKaffee trinken und Hähnchenschenkel von KFC würde verspachteln können, dass man in jedem winzigsten Lädchen Coca Cola finden und jeden größeren Einkauf mit Visa-Karte würde bezahlen können, dass vor den Tempelkomplexen ganze Flotten aus panzerartigen SUVs und protzigen Limousinen deutscher Bauart parken würden und dass neben dem Sommerpalast eine Art exklusive Gated-Community mit uniformierten Pförtnern entstanden ist. Den Grundstein für diese Entwicklungen hat der pragmatische Reformer Deng Xiaoping nach Maos Tod im Jahr 1976 mit ersten Lockerungen des starren planwirtschaftlichen Systems gelegt. Angeblich konnten sich dadurch viele Millionen Chinesen aus bitterster Armut befreien. 

Einkaufsstraße in der Nähe des Tian'anmen-Platzes.


Die Reformbestrebungen wurden in den folgenden Dekaden weitervorangetrieben und heute könnte das Staatsverständnis der chinesischen Führung kaum paradoxer wirken. Man betrachtet sich als eine Art 'sozialistische Marktwirtschaft' mit unverändert kommunistischem Markenkern. Dieses seltsame Zwitterwesen irgendwo zwischen Maoismus und Neoliberalismus wurde im Reagenzglas der Partei-Ideologen gezüchtet und so konstruiert, dass es nicht völlg dem klassischen KP-Weltbild widerspricht. Es scheint, dass der politische Idealismus, mit dem im kollektiven Gedächtnis viele blutige Erfahrungen verbunden sind, durch einen handfesteren Glauben ersetzt wurde, der sich fast übrall auf der Welt erfolgreich durchgesetzt hat. Die Rede ist natürlich nicht vom Materialismus, sondern vom Glauben ans fliegende Spaghetti-Monster. Wenn das der große Vorsitzende wüsste! Er würde vermutlich zu hundertfacher Größe mutiert und mit roten Laser-Augen bestückt wiederauferstehen und alle Mc-Donald's-Filialen in China niedertrampeln. Bis dahin hat das Land andere Probleme. Dazu gehören in erster Linie die verheerende Umweltverschmutzung und wachsende soziale Ungleichheit. Denn auch Wachstum hat seinen Preis. 

Gefälligst salutieren, du schmutziger Konterrevolutionär!
 

Kapitel 1b: Beijings Haute cuisine

Peking erschließt sich auch und insbesondere über Gaumen und Magen. In den Hutongs, einem Geflecht aus engen, dörflich anmutenden Gassen, das sich über große Teil des Stadtzentrums erstreckt, bruzelt und dampft es an allen Ecken und Enden. Wer sich den Freitod durch maßlose Völlerei erwählt hat, wird hier mit Sicherheit auf seine Kosten kommen – und das noch dazu sehr preisgünstig. Doch auch Freunde einer reichhaltigen und vielseitigen asiatischen Küche, sollten einen Aufenthalt anpeilen. Allerdings schrumpft die Auswahl für Vegetarier und Veganer enorm zusammen, weil die Chinesen von heute mehrheitlich Fleischfanatiker sind.

Peking-Ente im Werden.
Beliebte Snacks sind Lammfleischspieße, mit Fleisch gefüllte Teigbällchen und andere fleischliche Köstlichkeiten. Gönnen sollte man sich auch die berühmte Peking-Ente. Für umgerechnet etwa 20 Euro erhält man ein komplettes, kunstvoll gebratenes und in beißgerechte Stückchen gehacktes Federvieh, die man – ähnlich wie bei einem Wrap - in Teigtaschen einwickelt und zusammen mit Lauch, Gurken und Soja-Sauce verspachtelt. Ein Gericht, das zuverlässig für (Über-)Sättigung sorgt, gerade wenn man es für eine einzelne Person bestellt. Entgegen des landläufigen Vorurteils, wird in Peking bzw. Ganz Nordchina kaum Reis gegessen, weil es für den Reisanbau zu trocken ist. Stattdessen verwendet man anderes Getreide. Weizennudeln und Weizentörtchen etwa findet man häufig in den Garküchen auf der Straße. 

Schlangestehen für Törtchen.
Für den Essvorgang an sich muss man sich als Europäer neue Fertigkeiten aneignen. Durch meine dilettantischen Anfangsversuche, mit Stäbchen zu essen, hab ich mich schon bei einigen Einheimischen zum Gespött gemacht und vermutlich kursiert bereits das ein oder andere virale Slap-Stick-Video von mir im chinesischen Internet. Woran man sich auch gewöhnen muss: wenn man ein Restaurant betritt, findet man meist in Plastik eingeschweißtes Keramikgschirr und Besteck auf den Tischen vor. Hm, was würde man wohl in Freiburg mit solchen Gastronomen anstellen?

Da brat' mir doch einer einen Esel.