Sonntag, 22. September 2013

Anti-Bali

Wenn man sich so umhoert, scheint Bali der Nabel Indonesiens zu sein. Fast jeder Reisende, den ich auf Java getroffen habe, kam von Bali oder wollte nach Bali. Aber warum eigentlich? Was hat Bali abgesehen von der geographischen Naehe zu Java denn Grossartiges zu bieten? Meine Ueberlegung war folgende: Wenn ich volle Strandhaubitzen sehen will, schalte ich RTL II ein, fuer billige Folklore den Musikantenstadl und halbnackte Weiber gibts zuhauf im Internet. All das kann ich auch zu Hause haben und noch dazu ohne mich finanziell zu runieren. Ob ich da jetzt masslos uebertreibe, sei mal dahingestellt. Aber Bali war jedenfalls gestorben.



Stattdessen beschloss ich die etwas abgelegenen Karimunjawa Islands zu besuchen, die etwa 80km noerdlich von Semarang, der Hauptstadt Zentraljawas, liegen. Schon allein die Anreise hat etwas Erhebendes. Am Bug des Schiffes zu stehen, durch die tiefblaue See zu schaukeln, den Wind im Gesicht und die Sonne im Nacken. Bereits nach einer Stunde Schifffahrt trifft man auf die ersten gruengesichtigen Javanesen und unter Deck weht ein Hauch von Erbrochenem, immer wieder wird unauffaellig in den Papierkorb gereiert. Auf Deck werden die ueblichen Fragen gestellt, die ueblichen Antworten gegeben, Fotos geschossen und Zigaretten getauscht. Die gaengigen Nazi-Assoziationen haben inzwischen fast ausgedient. Deutschland ist gaenzlich 'Baien Munschn' geworden.



 Nach etwa vier Stunden Fahrt kommt dann die Mangroven-bewachsene Hauptinsel des Atolls in Sicht, die wie ein entlegendes, tropisches Paradies aus dem Ozean ragt. Anders als Bali haben die Karimunjawas kaum internationales Flair, sondern eher rustikalen Charme. Die rund 9000 Einwohner (darunter sechs verschiedene Ethnien) leben groesstenteils in Karimun, dem einzigen kleinen Doerfchen mit Seehafen und
Bankfiliale. Nach Fischfang und Reisanbau haben die Einheimischen inzwischen auch den Tourismus fuer sich entdeckt.



 Jedes zweite Haus in Karimun fungiert als Homestay. Vor jedem Homestay steht das gleiche phantasielose Hinweisschild, mit freundlicher Unterstuetzung der hiesigen Tabakindustrie, die jedes einzelne gesponsert hat. Tagsueber wird der Strom abgeschaltet. Sanitaere Anlagen haben asiatischen Standard, bestehen also aus Schoepfkehlen-Dusche und Plumpsklo. Auf den maroden Starssen gackert das Ayam, Chicken oder auch gemeines Haushuhn genannt, das heimliche Wappentier Indonesiens.



 Über allem schwebt eine zähe tropische Hitze, die Sonne scheint wie durch ein Brennglas, Haut verbrennt innerhalb von Minuten. Man schwitzt Wasserfälle und registriert es kaum noch. Mein ambitionierter Plan, die Insel per Fahrrad zu erkunden erwies sich als reinstes Himmelfahrtskommando.
Zum einen wegen der genannten Hitze, zum anderen weil die Strasse zu 90% aus Schlaglöchern besteht und schließlich weil das Fahrrad zwei Nummern zu klein war. Alles Dinge, die irgendwie erst ins Gewicht fallen, wenn es zum Umkehren bereits zu spät ist. Mit dem Wasserweg hingegen kann man nichts falsch machen. Und gibt es einen besseren Weg, ein Archipel zu erkunden als per Boot? Im Hafen wird man schnell fündig und besteigt eine der langen, schmalen Nussschalen, die gewöhnlich zum Fischfang genutzt werden.


 Auf diese Weise taucht man ein in eine Welt, die man sonst nur von Postkarten und schwulstigen Urlaubsphantasien kennt. Das Motiv der einsamen Insel wurde real. Oder besser gesagt surreal. Denn im Rückblick fällt es mir schwer zu glauben, dass ich tatsächlich dort gewesen bin. Auf diesem wackligen Kutter bin ich an einsamen Tropeninseln gelandet, im Meer geschwommen, in Korallenriffe abgetaucht und an weißen Stränden entlang gelaufen. Wie der klassische Touri habe ich Meeresschildkröten, gewaltige Kugelfische und bunte Seesterne in Händen gehalten und bin in ein Becken mit gefangenen Haien gesprungen.



Schwermütigen Haien, die wohl aufgrund ihrer Depression jeglichen Appetit auf Fleisch verloren haben. Denn ich an ihrer Stelle hätte ein ordentliches Stück aus mir heraus gebissen. Im türkisfarbenen Wasser stehend habe ich abends Sonnenuntergänge gesehen und mittags unter Palmen gebratenen Fisch gegessen und Saft aus Kokosnüssen geschlürft. Ich bin durch Mangrovenwälder gestapft
und viel auf meinem Handtuch gelegen, hab mir die Beine an Korallen aufgeschlitzt und literweise Salzwasser geschluckt, während ich diese faszinierende Unterwasserwelt bestaunt habe. Ich habe Muscheln gesammelt und das Gefühl genossen, irgendwo weit weg von allem und jedem zu sein.



 Leider ist auch diese abgelegene Inselgruppe inzwischen in der indonesischen Wirklichkeit angekommen. Im aktuellen Lonely Planet schon als Highlight beworben, dürfte es mit der Beschaulichkeit recht bald vorbei sein. Mit steigenden Besucherzahlen dürften bald auch die Preise anziehen und der Tourismussektor stark expandieren, insbesondere im Luxussegment. Die schlimmste Plage des 21. Jahrhunderts aber heißt Plastik und macht auch vor den Karimunjawas nicht halt. Viel zu oft wird man aus seinen Träumereien gerissen, wenn man plötzlich auf grob vermüllte und verschmutzte Küstenstreifen trifft. Eine Bedrohung für den maritimen Nationalpark und das empfindliche Ökosystem, das er beherbergt. Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, irgendwann dorthin zurückzukehren und mir für ein paar Tage eine Insel zu mieten. Und ich hoffe inständig, keinen pazifischen Ballermann vorzufinden.






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