Donnerstag, 1. Juni 2017

Kapitel 22 - Loh (3180) - Samagoan (3530) - Punggen Gumba (4000)

Die folgende Strecke von Loh nach Samagoan gestaltet sich entspannt und vergleichsweise wenig fordernd. Das frühe Aufstehen wird mit einer klaren Sicht auf das Manaslu-Himal-Massiv belohnt, das hinter dem Kloster auf dem Hügel zum Vorschein kommt. 

Manaslu im Rücken.
Samagoan liegt nur einige Hundert Meter höher als Loh, so dass kaum signifikante Änderungen im Landschaftsbild zu erkennen sind. Wieder erleben wir das vertraute Muster des Wanderns in der Sinus-Kurve durch zerklüftete Landschaften mit wettererprobtem Nadelbaumbewuchs. Wie an den Tagen zuvor werden wir auch auf dieser Etappe meist vom Rauschen eines Gebirgsbaches begleitet. Zweimal überqueren wir kleinere Seitenarme des Budhigandaki-Flusses. Auf etwa halbem Weg erreichen wir das kleine Dorf Shala, das wir vollkommen ausgestorben vorfinden. Auch hier scheint es gemütliche (und etwas ruhigere) Unterkünfte zu geben.

Shala.
Von Shala aus geht es auf angenehm ebenem Grund weiter. Bald öffnet sich eine weite Hochebene vor uns. Wir passieren dürre, mit Dornengestrüpp übersäte Weideflächen, auf denen die Yaks von Samagoan weiden. Ein Stück dahinter kommen wir an Feldern vorbei, die demnächst bepflanzt werden sollen und auf denen große Haufen von Yak-Mist zur Düngung aufgeschichtet wurden. 

Vor Samagoan.
Wenn man durch Samagoan spaziert, fühlt man sich erneut um mindestens 200 Jahre zurückversetzt: Die einfachen Steinhäuser mit den niedrigen Türen, die kleingewachsenen, sehnigen Menschen mit ihren rußigen Gesichtern, die nahezu alles auf ihren Rücken von A nach B schleppen, sowie die allgegenwärtigen Huftiere und schwarzen Krähen, die verbissen um Futter kämpfen.

In Samagoan.
An den Stupas mit den vielen eingravierten Steintafeln lassen wir die Gebetsmühlen rotieren, um günstiges Karma für unsere Reise zu erzeugen. Bei der Herbergssuche indes geraten wir beinahe mit den Einheimischen aneinander. Als Europäer sind wir es gewohnt, Preise und Merkmale von verschiedenen Örtlichkeiten zu vergleichen und auf Grundlage dessen eine Entscheidung zu treffen. In dieser Gegend jedoch macht man sich mit solchen Praktiken keine Freunde. Betritt man eine Herberge, so hat man auch dort zu nächtigen. Sich selbstständig (also ohne Guide) umzuschauen, gilt als Affront, wie Ishwuar uns später erklärt. Nachdem wir auf diese Weise zwei Wirte vergrault haben, finden wir schließlich eine Unterkunft, die geeignet erscheint. Das versprochene WLAN entpuppt sich indes als Märchen, was den Kollegen Marvin in leichte Depressionen verfallen lässt. Zumindest aber werden wir nicht von der örtlichen Lodge-Kartell-Mafia des Nachts gekidnappt und in irgendeiner entlegenen Gletscherspalte versenkt.

Auf dem Weg zur Gumba.
Unseren zweiten Tag in Samagaon verbringen wir mit einem Ausflug zu einem besonderen Ort, der Punggen Gumba, einem verlassenen Kloster auf einem Hochplateau etwa 2 Stunden entfernt von Samagoan. Zunächst gehen wir auf dem selben Weg in Richtung Shala zurück und biegen dann rechts nach oben ab. Es geht aufwärts an einem reißenden Gebirgsbach entlang, der ein Stück weiter unten in den Budhigandaki-Fluss mündet. Die Steigung wird langsam geringer und bald gelangen wir auf das weite Hochplateau, auf dem einige wetterfeste Paarhufer den kargen Boden abgrasen. 

Don't fuck with the Yak!
An diesem Tag sind wir zeitig aufgestanden und haben auf das Frühstück verzichtet, um so früh wie möglich aufbrechen zu können. Tatsächlich wird diese kleine Entbehrung belohnt. Wir dürfen noch eine zeitlang ungetrübte Aussichten genießen, bevor sich im Tal die Wolken zusammenbrauen und der Hauptgipfel des Manaslu-Massives hinter einem dichten Schleier verschwindet.

Die Ruhe geniessen.
Die Kollegen.
Das Kloster an sich, das wir am anderen Ende der Ebene vorfinden, hat wenig Interessantes zu bieten. Die Gebäude erscheinen äußerlich wenig dekorativ und sind mit Schlössern gegen Eindringlinge gesichert. Doch bietet die Ankunft am Kloster eine willkommene Gelegenheit innezuhalten, auszuruhen und die mitgebachten Kekse zu verzehren.

Die Gumba.
Die Atmossphäre hier oben ist ganz besonders kraftvoll und einzigartig. Es herrscht eine allumfassende Stille, die nur durch das Rascheln des Grases unter den Füßen unterbrochen wird. Ich setze mich auf den Boden, schließe die Augen, lasse mich von der Morgensonne anstrahlen und verschmelze für eine Weile mit der Umgebung. Als ich die Augen wieder öffne, ist das Hochplateau beinahe vollständig von Wolken und Nebel eingehüllt. Es hat kaum eine halbe Stunde gedauert. Von den umliegenden Bergmassiven ist nichts mehr zu erkennen. Die Yaks grasen unbeeindruckt weiter.
 

Im Nebel.
Vielleicht wird es an dieser Stelle Zeit, ein kleines Zwischenfazit unserer Trekking-Tour zu ziehen. Es sind nun einige Tage vergangen, die ich weitgehend ohne 'Segnungen' der entwickelten Welt zugebracht habe. Hier draußen gibt es keine motorisierten Fahrzeuge, selten Strom und noch seltener Internet. Fließendes Wasser ist Mangelware ebenso wie heiße Duschen und Schokolade. Saubere , wohlriechende Wäsche ist fast schon utopisch. Die Abläufe sind sehr simpel und bestehen in erster Linie aus Laufen, Essen, Schlafen, Waschen, Packen und die Notdurft verrichten. Dennoch habe ich gerade nicht das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Ganz im Gegenteil. Ich fühle mich zu diesem Zeitpunkt freier, lebendiger und frischer als ich es im Durchschnitt tue, trotz des anstrengenden Wanderns in der Höhe. Nachdem ich nun einige Tage durch diese Landschaft gezogen bin, ist mir klar geworden, dass man zum Leben deutlich weniger braucht als einem zu Hause vielleicht suggeriert wird und dass man auf viele Dinge verzichten könnte, die einem gewöhnlich als unverzichtbar erscheinen. Ich möchte das Leben der Menschen hier oben nicht beschönigen. Es ist karg und es ist hart. Bestimmt würden die meisten von ihnen ein bequemeres Dasein im entwickelten Europa vorziehen, so wie ich es normalerweise führe. Ich habe andererseits das Gefühl, beim Wandern durch diese Berge und beim Wahrnehmen dieser Stille, Schönheit und Urgewalt etwas zu gewinnen, was weit über die Bedürfnisse meiner äußeren Identität hinausgeht.       

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