Donnerstag, 1. Juni 2017

Kapitel 24 – Samdo (3860) -Dharmasala (4460)

Langsam, aber stetig scheint der Konflikt in meinem Verdauungstrakt abzuklingen. Von einem Ende der Kampfhandlungen kann aber noch keine Rede sein, weshalb ich mich entschließe, an diesem Morgen ein bisschen auszuschlafen und meinem Körper etwas Ruhe zu gönnen, bevor wir in der folgenden Nacht den Larke-La-Pass überqueren werden. Marvin steht zeitiger auf und läuft schon mal mit Dipar voraus, um in Dharmasala ein vernünftiges Lager zu organisieren. Am Ende werden wir aber doch im Zelt nächtigen.

Morning view.
Ich selbst bleibe bis ca. 9 Uhr im Bett, stehe dann gemütlich auf, nehme ein paar vorsichtige Bissen zum Frühstück (trockenes Chapati) und laufe dann mit unserem Guide Ishwuar los, der geduldig auf mich gewartet hat. Zu diesem Zeitpunkt ist Samdo bereits komplett von Wanderern leer gefegt. Wir scheinen die letzten zu sein, was den angenehmen Nebeneffekt hat, dass wir die Strecke ganz für uns alleine genießen können.

Weg nach Dharmasala.
Der Marsch nach Dharmasala, vor dem mir in der vergangenen Nacht noch etwas gegraut hat, wird zu einem schönen und erstaunlich mühelosen Erlebnis. Dank des Niederschlages, der am gestrigen Nachmittag begonnen und bis weit in die Nacht fortgedauert hat, ist die Luft an diesem Morgen sehr rein und die Bergsicht von gestochener Schärfe. Die umliegenden Massive erscheinen vom Schnee leicht eingezuckert. Wieder entsteht der Eindruck, durch eine öde Mondlandschaft zu laufen: schwarz-graue Geröllwüsten, schmutzige Gletscherausläufer und eine unwirtliche Witterung, die nur die zähsten Lebensformen gedeihen lässt (Murmeltiere etwa oder die unverwüstlichen Yaks).

Mondlandschaft.
Nach etwa vierstündigem Marsch erreichen wir dann den entlegenen Außenposten Dharmasala auf 4460 Metern, bestehend aus ein paar provisorisch wirkenden Betonbaracken und einigen Zelten, in denen die Wanderer vor ihrem Aufbruch zum Larke-La-Pass nächtigen können. Zu astronomischen Preisen werden die üblichen Gerichte aufgetischt. Die 'Dusche' besteht in einem Wasserhahn im Freien. Die beiden einzigen Toiletten befinden sich in zugigen Wellblechverschlägen, die sich von außen nicht richtig verschließen lassen. Am Nachmittag trifft man sich zum Tee in der größeren Betonbaracke, wo alle zusammen an einer langen, grob gezimmerten Tafel sitzen und sich über die kommende Pass-Überquerung austauschen. Wie viel Wasser mitnehmen? Wie viele Schichten Kleidung in der Nacht? Währenddessen zieht es draußen komplett zu und die ersten Schneeflocken rieseln auf das Camp herab. Im Laufe des Nachmittags werden es immer mehr und die Gegend wird von einem wahren Schneetreiben heimgesucht. Bis zum Abend ist das gesamte Camp von einer dichten weißen Schicht bedeckt. Mehrmals müssen wir die Zelte vom Schnee befreien. Abends sitzen wir dick eingepackt wie Michelin-Männchen in der Hauptbaracke. Im naiven Glauben, mein Verdauungstrakt hätte sich nun endgültig befriedet, genehmige ich mir ein üppiges Dal-Bhat-Set. Ein verhängnisvoller Fehler, wie sich in der kommenden Nacht herausstellen wird.

The lonesome guide...
Da die Überquerung bereits morgens gegen 4 Uhr beginnen soll, gehen wir angemessen früh schlafen. Aufstehen um 3 Uhr, Frühstück um 3.30 Uhr, so zumindest der Plan. Um 19 Uhr liege ich in meinem Daunenschlafsack im Zelt und schließe die Augen. Nächtliche Unterkühlung kann sehr unangenehm und sogar gefährlich werden, daher treffen wir entsprechende Vorkehrungen. An den Füßen trage ich zwei Paar Wollsocken , am Oberkörper eine Lage Ski-Unterwäsche, ein T-Shirt, einen Fleece-Pulli, die Daunenjacke und darüber noch eine Windjacke. An den Füßen dann noch eine Unterhose, darüber eine lange Ski-Unterhose, eine Wanderhose und eine Regenhose. Auf dem Kopf eine Wollmütze und an den Händen Handschuhe. Die Kälte wird mich in dieser Nacht jedenfalls nicht behelligen.

So macht Zelten richtig Spaß.

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