Ich
kann nun wahrlich nicht von mir behaupten, ein Kenner der
chinesischen Seele zu sein. Alles, was ich hier berichte, beruht auf
Informationen aus zweiter Hand und meinen persönlichen Beobachtungen. Für mich als Außenstehenden fühlt sich
die momentane Szenerie in Peking wie hautnahe Realsatire an. Gerade
tagt in Peking wie alle 5 Jahre der nationale Volkskongress. Böse
Zungen behaupten, dieses Gremium könnte sich auch aus Pandabären
und Chihuahuas zusammensetzen, weil seine alleinige
Daseinsberechtigung darin bestünde, die 'Vorschläge' der KP-Führung
begeistert zu befürworten.
Jedenfalls erscheint die Sicherheitslage
in der Stadt angespannt. Ob das an der Tagung des Volkskongresses
liegt oder einfach dem Normalzustand entspricht, kann ich nicht
beurteilen. Kameras sind auf öffentlichen Plätzen allgegenwärtig,
ebenso wie uniformierte Polizeikräfte, die misstrauisch ihre Blicke
über die Menschenmengen schweifen lassen. An jeder U-Bahn-Station
und an jedem repräsentativen Gebäude wird das Gepäck
durchleuchtet. Selbst in der Herberge will die zierliche
Rezeptionistin jedes Mal mein Gepäck nach gefährlichen Gegenständen durchsuchen. Anweisung
der Polizei. Nach halbherzigem Abtasten meines Rucksacks kommt sie
vermutlich zu dem Schluss, dass sie keine Lust darauf hat,
gründlicher zu suchen. Puh, nochmal davon gekommen. Ein Schweizer
Taschenmesser in den falschen Händen kann eine echte Bedrohung für
die öffentliche Sicherheit darstellen. Eine Fahrlässigkeit, dass da
der deutsche Staat noch nicht reagiert hat!
Viele Fahnen. |
Wie dem auch sei, das
sozialistische Peking scheint sich jedenfalls auf das Areal des Tianamen-Platzes
zu bschränken. Hier weht ein Meer aus roten Fahnen. Hier regiert die
quaderförmige Monumental-Architektur. Hier zeugen pathetische
Standbilder von der Befreiung des Proletariats. Und hier insbesondere
äußert sich der omnipräsente Kult um Mao Zedong. Das Bildnis des
großen Vorsitzenden prangt noch immer großformatig auf dem Tor des
himmlischen Friedens. Nur ein paar Steinwürfe entfernt findet sich
sein einbalsamierter Leichnam, der zusammen mit Devotionalien aus
Maos Leben bestaunt werden kann. Sein Mausoleum befindet sich im
Zentrum des Tianamen-Platzes, der wiederum für das Zentrum des
gesamten Landes steht. Mehr Symbolik geht kaum. Vermutlich ist das
Konterfei von Mao das, was der Durchschnittschinese im Alltag mit am
häufigtsen zu sehen bekommt. Es befindet sich nämlich auf der
Frontseite aller Yuan-Banknoten.
Er wacht über uns alle. |
Für Außenstehende mag diese
nahezu gottgleiche Überhöhung des großen Vorsitzenden befremdlich erscheinen. Maos
'großer Sprung nach vorne' soll durch groteske Fehlplanungen und
Zwangskollektivierungen erheblich dazubeigetragen haben, dass etwa
20-30 Millionen Chinesen den Hungertod sterben mussten. Ganz zu
schweigen von der Kulturrevolution, die nicht nur eine massive Welle
der politischen Verfolgung mit mitsichgebracht und die Gesellschaft
gespalten, sondern auch das jahrtausendealte kulturelle Erbe Chinas
irreperabel beschädigt hat. Andererseits steht Mao wohl auch wie
kaum eine andere Persönlichkeit in der jüngeren chinesischen
Geschichte für Aufbruch und die Hoffnung auf eine positive
Neuordnung der Gesellschaft. Betrachtet man die Jahrzehnte und
Jahrhunderte vor der Gründung der Volksrepublik, so waren diese
unter anderem geprägt von Bürgerkrieg, Instabilität, gewaltsamer
Fremdherrschaft durch westliche und japanische Besatzer sowie den
längst überkommenen feudalen Herrschaftsstrukturen der Qing-Dynastie.
Da wird er auferstehen. |
Für den Durchschnittschinesen von damals,
also den seit jeher geknechteten Bauern in der Pampa, dürfte der Sieg der Kommunisten zunächst ein Anlass zur Hoffnung gewesen sein. Dass sich Maos politische Agenda in der Praxis
als derartig verheerendes Desaster entpuppen würde, war zu diesem
Zeitpunkt wahrscheinlich kaum absehbar. Genauso wenig absehbar war,
dass man im Peking des Jahres 2017 kaum 400 Meter vom Mao-Mausoleum
entfernt einen BigMac essen, StarBucksKaffee trinken und
Hähnchenschenkel von KFC würde verspachteln können, dass man in
jedem winzigsten Lädchen Coca Cola finden und jeden größeren
Einkauf mit Visa-Karte würde bezahlen können, dass vor den
Tempelkomplexen ganze Flotten aus panzerartigen SUVs und protzigen
Limousinen deutscher Bauart parken würden und dass neben dem
Sommerpalast eine Art exklusive Gated-Community mit uniformierten
Pförtnern entstanden ist. Den Grundstein für diese Entwicklungen
hat der pragmatische Reformer Deng Xiaoping nach Maos Tod im Jahr
1976 mit ersten Lockerungen des starren planwirtschaftlichen Systems
gelegt. Angeblich konnten sich dadurch viele Millionen Chinesen aus
bitterster Armut befreien.
Einkaufsstraße in der Nähe des Tian'anmen-Platzes. |
Die Reformbestrebungen wurden in den
folgenden Dekaden weitervorangetrieben und heute könnte das
Staatsverständnis der chinesischen Führung kaum paradoxer wirken.
Man betrachtet sich als eine Art 'sozialistische Marktwirtschaft' mit
unverändert kommunistischem Markenkern. Dieses seltsame Zwitterwesen
irgendwo zwischen Maoismus und Neoliberalismus wurde im Reagenzglas
der Partei-Ideologen gezüchtet und so konstruiert, dass es nicht
völlg dem klassischen KP-Weltbild widerspricht. Es scheint, dass der
politische Idealismus, mit dem im kollektiven Gedächtnis viele
blutige Erfahrungen verbunden sind, durch einen handfesteren Glauben
ersetzt wurde, der sich fast übrall auf der Welt erfolgreich
durchgesetzt hat. Die Rede ist natürlich nicht vom Materialismus,
sondern vom Glauben ans fliegende Spaghetti-Monster. Wenn das der
große Vorsitzende wüsste! Er würde vermutlich zu hundertfacher
Größe mutiert und mit roten Laser-Augen bestückt wiederauferstehen
und alle Mc-Donald's-Filialen in China niedertrampeln. Bis dahin hat
das Land andere Probleme. Dazu gehören in erster Linie
die verheerende Umweltverschmutzung und wachsende soziale Ungleichheit. Denn auch
Wachstum hat seinen Preis.
Gefälligst salutieren, du schmutziger Konterrevolutionär! |
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