Sonntag, 9. April 2017

Kapitel 1c: McMao's und die ulkige Geschichte vom Sozialismus in China

Ich kann nun wahrlich nicht von mir behaupten, ein Kenner der chinesischen Seele zu sein. Alles, was ich hier berichte, beruht auf Informationen aus zweiter Hand und meinen persönlichen Beobachtungen. Für mich als Außenstehenden fühlt sich die momentane Szenerie in Peking wie hautnahe Realsatire an. Gerade tagt in Peking wie alle 5 Jahre der nationale Volkskongress. Böse Zungen behaupten, dieses Gremium könnte sich auch aus Pandabären und Chihuahuas zusammensetzen, weil seine alleinige Daseinsberechtigung darin bestünde, die 'Vorschläge' der KP-Führung begeistert zu befürworten. 

Blick auf das Tagungsgelände.
Jedenfalls erscheint die Sicherheitslage in der Stadt angespannt. Ob das an der Tagung des Volkskongresses liegt oder einfach dem Normalzustand entspricht, kann ich nicht beurteilen. Kameras sind auf öffentlichen Plätzen allgegenwärtig, ebenso wie uniformierte Polizeikräfte, die misstrauisch ihre Blicke über die Menschenmengen schweifen lassen. An jeder U-Bahn-Station und an jedem repräsentativen Gebäude wird das Gepäck durchleuchtet. Selbst in der Herberge will die zierliche Rezeptionistin jedes Mal mein Gepäck nach gefährlichen Gegenständen durchsuchen. Anweisung der Polizei. Nach halbherzigem Abtasten meines Rucksacks kommt sie vermutlich zu dem Schluss, dass sie keine Lust darauf hat, gründlicher zu suchen. Puh, nochmal davon gekommen. Ein Schweizer Taschenmesser in den falschen Händen kann eine echte Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellen. Eine Fahrlässigkeit, dass da der deutsche Staat noch nicht reagiert hat! 

Viele Fahnen.
Wie dem auch sei, das sozialistische Peking scheint sich jedenfalls auf das Areal des Tianamen-Platzes zu bschränken. Hier weht ein Meer aus roten Fahnen. Hier regiert die quaderförmige Monumental-Architektur. Hier zeugen pathetische Standbilder von der Befreiung des Proletariats. Und hier insbesondere äußert sich der omnipräsente Kult um Mao Zedong. Das Bildnis des großen Vorsitzenden prangt noch immer großformatig auf dem Tor des himmlischen Friedens. Nur ein paar Steinwürfe entfernt findet sich sein einbalsamierter Leichnam, der zusammen mit Devotionalien aus Maos Leben bestaunt werden kann. Sein Mausoleum befindet sich im Zentrum des Tianamen-Platzes, der wiederum für das Zentrum des gesamten Landes steht. Mehr Symbolik geht kaum. Vermutlich ist das Konterfei von Mao das, was der Durchschnittschinese im Alltag mit am häufigtsen zu sehen bekommt. Es befindet sich nämlich auf der Frontseite aller Yuan-Banknoten.

Er wacht über uns alle.
Für Außenstehende mag diese nahezu gottgleiche Überhöhung des großen Vorsitzenden befremdlich erscheinen. Maos 'großer Sprung nach vorne' soll durch groteske Fehlplanungen und Zwangskollektivierungen erheblich dazubeigetragen haben, dass etwa 20-30 Millionen Chinesen den Hungertod sterben mussten. Ganz zu schweigen von der Kulturrevolution, die nicht nur eine massive Welle der politischen Verfolgung mit mitsichgebracht und die Gesellschaft gespalten, sondern auch das jahrtausendealte kulturelle Erbe Chinas irreperabel beschädigt hat. Andererseits steht Mao wohl auch wie kaum eine andere Persönlichkeit in der jüngeren chinesischen Geschichte für Aufbruch und die Hoffnung auf eine positive Neuordnung der Gesellschaft. Betrachtet man die Jahrzehnte und Jahrhunderte vor der Gründung der Volksrepublik, so waren diese unter anderem geprägt von Bürgerkrieg, Instabilität, gewaltsamer Fremdherrschaft durch westliche und japanische Besatzer sowie den längst überkommenen feudalen Herrschaftsstrukturen der Qing-Dynastie. 

Da wird er auferstehen.
Für den Durchschnittschinesen von damals, also den seit jeher geknechteten Bauern in der Pampa, dürfte der Sieg der Kommunisten zunächst ein Anlass zur Hoffnung gewesen sein. Dass sich Maos politische Agenda in der Praxis als derartig verheerendes Desaster entpuppen würde, war zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich kaum absehbar. Genauso wenig absehbar war, dass man im Peking des Jahres 2017 kaum 400 Meter vom Mao-Mausoleum entfernt einen BigMac essen, StarBucksKaffee trinken und Hähnchenschenkel von KFC würde verspachteln können, dass man in jedem winzigsten Lädchen Coca Cola finden und jeden größeren Einkauf mit Visa-Karte würde bezahlen können, dass vor den Tempelkomplexen ganze Flotten aus panzerartigen SUVs und protzigen Limousinen deutscher Bauart parken würden und dass neben dem Sommerpalast eine Art exklusive Gated-Community mit uniformierten Pförtnern entstanden ist. Den Grundstein für diese Entwicklungen hat der pragmatische Reformer Deng Xiaoping nach Maos Tod im Jahr 1976 mit ersten Lockerungen des starren planwirtschaftlichen Systems gelegt. Angeblich konnten sich dadurch viele Millionen Chinesen aus bitterster Armut befreien. 

Einkaufsstraße in der Nähe des Tian'anmen-Platzes.


Die Reformbestrebungen wurden in den folgenden Dekaden weitervorangetrieben und heute könnte das Staatsverständnis der chinesischen Führung kaum paradoxer wirken. Man betrachtet sich als eine Art 'sozialistische Marktwirtschaft' mit unverändert kommunistischem Markenkern. Dieses seltsame Zwitterwesen irgendwo zwischen Maoismus und Neoliberalismus wurde im Reagenzglas der Partei-Ideologen gezüchtet und so konstruiert, dass es nicht völlg dem klassischen KP-Weltbild widerspricht. Es scheint, dass der politische Idealismus, mit dem im kollektiven Gedächtnis viele blutige Erfahrungen verbunden sind, durch einen handfesteren Glauben ersetzt wurde, der sich fast übrall auf der Welt erfolgreich durchgesetzt hat. Die Rede ist natürlich nicht vom Materialismus, sondern vom Glauben ans fliegende Spaghetti-Monster. Wenn das der große Vorsitzende wüsste! Er würde vermutlich zu hundertfacher Größe mutiert und mit roten Laser-Augen bestückt wiederauferstehen und alle Mc-Donald's-Filialen in China niedertrampeln. Bis dahin hat das Land andere Probleme. Dazu gehören in erster Linie die verheerende Umweltverschmutzung und wachsende soziale Ungleichheit. Denn auch Wachstum hat seinen Preis. 

Gefälligst salutieren, du schmutziger Konterrevolutionär!
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen