Sonntag, 9. April 2017

Kapitel 5 - Xi'an(Shaanxi): Terra-Cotta-King-Kong

Auf einer trägen 10 stündigen Zugfahrt geht die Reise weiter von Shanxi ins benachbarte Shaanxi, genauer gesagt in die Provinzhaupstadt Xi'an. Xi'an könnte eine von vielen Millionenstädten in China oder sonst wo auf der Welt sein. Es gibt gewaltige Wohnsilos, die in Reih und Glied nebeneinander geklotzt wurden, es gibt U-Bahnen und Shopping-Malls, es gibt viele Bausünden und kaum ein Fleckchen Erde, das nicht zubetoniert wurde, es gibt Wallmarkt, KFC, Burgerking, McDonald's, Starbuck's, Pizzahut, Gucci, einen Applestore, Audi Q7 und was man sonst noch zum Überleben in der Moderne benötigt, es gibt viele Menschen, Lärm und noch mehr Feinstaub.

Blick von der Mauer.
Dabei kann Xi'an auf eine glanzvolle Vergangenheit zurückblicken: Ehemalige Reichshauptstadt unter den Tang-Kaisern sowie als Ausgangspunkt der berühmten Seidenstraße ein kultureller Schmelztiegel, der seinesgleichen gesucht hat. Vom vergangenen Ruhm zeugen noch heute die vielen archäologischen Stätten, die sich in und um die Stadt herum verteilen. Am populärsten sind sicherlich die Terra-Cotta-Krieger, an denen kaum ein Besucher vorbeikommt. So auch ich nicht. 

Must see?!
Leider habe ich persönlich nicht allzu viel davon mitgenommen, obwohl die Terra-Cotta-Krieger zu Recht als einzigartige Kulturschätze gelten. Doch gerade der hohe Bekanntheitsgrad in Kombination mit dem großen Marketingaufwand schaffen Erwartungen, die in der Wirklichkeit kaum noch erfüllbar sind. Diese Wirklichkeit besteht aus viel Kommerz, klaustrophobischem Gedränge und einem Konzept, das im Kern darauf abzielt, die Besucherzahlen zu maximieren. Das macht Einbußen an anderer Stelle fast unvermeidlich. Das individuelle Besuchserlebnis bekommt den Charakter einer Massenware. Doch damit stehen die Terra-Cotta-Krieger nicht alleine da. Es ist ein Fluch, den alle international gehypten Sehenswürdigkeiten anziehen wie Honig die Fliegen. Doch auch das sollte man irgendwie genießen lernen.

Auf dem Berg des schwarzen Pferdes.
Generell scheint der Tourismus-Sektor in China ein stark expandierender und hart umkämpfter Markt zu sein. Es wird viel (und vielleicht nicht unbedingt mit Fingerspitzengefühl) investiert und dementsprechend werden Renditen erwartet. Dies hat zur Folge, dass so gut wie jeder Ort, der in irgendeiner Form einladend wirkt, mit Zäunen und Ticketschaltern versehen wird. Doch mit ein bisschen Dreistigkeit und einheimischer Hilfe lassen sich auch solche Barrieren gelegentlich umgehen. Über versteckte Hinterhöfe, Trampelpfade und auch mal quer Feld ein zeigt mir ein junger Chinese den inoffiziellen Weg hinauf zum Berg des schwarzen Pferdes, von wo aus man eine tolle Sicht auf Xi'an hat. An diesem Tag habe ich noch mehr Glück. Das Wetter ist sonnig und es herrscht halbwegs klare Sicht. Für den Nachmittag folge ich dann noch einer Einladung und darf mir King Kong in einem chinesischen Kino ansehen. Leider nur mit chinesischen Untertiteln.

Durchs Muslimviertel.
Was meinen Xi'an-Besuch noch enorm bereichert, ist das pulsierende muslimische Viertel im Zentrum der Altstadt. Hier fühlt man sich beinahe wie in eine andere Welt versetzt. In einem Strom von Menschen treibe ich durch ein enges Gassen-Gewirr und sauge die Atmossphäre in mich auf, die an einen orientalischen Basar erinnert. Von überall her werde ich mit exotischen Reizen bombadiert: grelle Lichter, laute Stimmen und intensive Gerüche. Es dampft, es bruzelt, und man kann sich kaum entscheiden, welche Köstlichkeit zuerst probiert werden soll. Das gebratene Fleisch am Spieß, die handgemachten Nudeln, das Nussgebäck, die frittierten Eier oder doch dieses andere appetitlich wirkende Ding, das man nicht recht einordnen kann? 

Lädt zum Spachteln ein.
Am Ende des Tages ist der Bauch jedenfalls meistens voller als es vernünftig gewesen wäre. Ist dem leiblichen Wohl dann zur Genüge gedient, lohnt sich ein kleiner Abstecher zur großen Moschee des Viertels, einer wahren Oase der Ruhe inmitten des Markt-Trubels. Hier sind die arabisch-muslimischen Stil-Elemente so stark mit traditionell-chinesischer Architektur verschmolzen, dass man die Moschee kaum mehr als solche erkennen kann. Der Gebäudekomplex erinnert viel mehr an einen chinesischen Tempel. Sogar das Minarett hat die Form einer Pagode. Könnte man sich das in Deutschland vorstellen? Minarette, die aussehen wie Kirchtürme?

Die Moschee. Wer hätte das erkannt?

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