Die
Weiterreise nach Datong erwies sich als längere Odyssee mit
glücklichem Ausgang. Wie oben bereits angedeutet erwies sich das
Vorspiel zu meiner ersten Bahnfahrt in China als etwas turbulent. Ich
hatte schon von vornherein mehr Zeit eingeplant als ich für nötig
hielt, da ich das Ticket bereits besaß und glaubte, alles Weitere
würde bequem von statten gehen. Am Ende erwies sich diese zusätzlich
eingeplante Zeit als entscheidend. Ich erreichte etwa 5 Minuten vor
Abfahrt und reichlich verschwitzt meinen Sitzplatz im Zug. Ich will
an dieser Stelle nicht zu tief ins Detail gehen, was die Gründe für
die Verzögerung angeht. Kurz gesagt bestanden sie in einer Mischung
aus babylonischem Sprachengewirr, meiner Unerfahrenheit und der
Vorliebe der chinesischen Behörden mehrfach Personen, Gepäck und
Dokumente zu überprüfen. Die Zugfahrt an sich gestaltete sich dann
recht angenehm, auch wenn die Verhältnisse natürlich etwas beengt
waren. In den 7 Stunden gemächlicher Bahnfahrt machten es sich die
Chinesen bequem, schwatzten, spielten laut kitschige Musik und
verzehrten ihr mitgebrachtes Essen, das sogar mit dem Fremden geteilt wurde.
Wann erlebt man sowas schon mal auf einer Fahrt mit der deutschen
Bahn? Im Vergleich zu deutschen
Zügen brauchen chinesische auch deutlich mehr Personal. Jeder Waggon
hat eine eigene Service-Kraft, die nebenbei den Müll einsammelt,
durchfegt und den nächsten Halt ansagt.
Auf dem Weg nach Datong. |
Draussen
vor dem Fenster zog die Provinz Shanxi vorbei. Meine spontanen
Eindrücke von Shanxi lassen sich spontan mit drei Adjektiven
umschreiben: kalt, karg und knochentrocken. Die vorherrschende Farbe
ist Braun in unterschiedlichen Schattierungen. Ohne Zweifel hat es in
Shanxi während der früheren Kaiserzeit glanzvolle Epochen gegeben,
doch heute scheint die Region in erster Linie vom Kohleabbau geprägt
zu sein. Der Zug rollt vorbei an qualmenden Schloten und ärmlich
wirkenden, staubigen Siedlungen, die aus einförmigen
Bauklötzchen-Häusern bestehen. Vielleicht wirkt die Szenerie ja im
Sommer etwas einladender, wenn ein paar Blätter an den dürren
Bäumen hängen und die Felder nicht gerade brach liegen. Der März
zählt eher noch zum Winter.
Lovely Datong. |
Nach der Ankunft in Datong gerate
ich dann in eine Situation, die ich auf der Reise noch des Öfteren
erleben werde. Ich stehe schwerbepackt am (Bus)-Bahnhof, habe keine
Orientierung und niemanden um mich herum, der versteht, was ich sage.
Dabei erscheint die Sache dieses Mal sehr einfach. Ich habe bewusst
eine Unterkunft gebucht, die nur idiotensichere 50 Meter vom Bahnhof
entfernt liegt, damit ich nachts nicht durch eine fremde Stadt irren
muss. Leider habe ich Name und Adresse der Unterkunft nicht auf
Chinesisch und der Kartenausdruck auf der Buchungsbestätigung
erweist sich als äußerst unpräzise. Ich versuche also meine
Situation ein paar Taxi-Fahrern zu erklären. Wir kommunizieren per
Smartphone-Übersetzungsprogramm. Nach einer ermüdenden halben
Stunde bin ich noch immer so klug als wie zuvor, habe aber mehrfach
Angebote für Touren zu den einschlägigen Sehenswürdigkeiten
erhalten. Einer schicksalhaften Fügung sei Dank erspäht einer von
meinen geschäftstüchtigen Freunden doch noch die Leuchtreklame der
gsuchten Unterkunft. Sie liegt in Sichtweite und ist deutlich in
lateinischen Buchstaben ausgeschildert. Das nennt man wohl einen
spätabendlichen Fail.
Blick auf die 'Altstadt'. |
Was
gibt es zu Datong zu sagen? Nun Datong machte einen seltsamen
Eindruck auf mich. Einerseits wirkt die Stadt wie der Stereotyp einer
gesichtslosen Industrie-Metropole in China. Die Menschen hausen in
gewaltigen, dicht aneinander gereihten Wohnsilos. Eine
allgegenwärtige Dunstglocke trübt den Himmel ein und die Straßen
leiden unter ständiger Verstopfung. Noch immer dominiert die
geschmackvolle Funktionsarchitektur der Mao-Ära. Kurzum viel
Verkehr, viel Beton und viel schlechte Luft. Doch in Datong will man
sich zurückbesinnen auf seine historischen Wurzeln und das zu neuem
Leben erwecken, was die Kulturevolution und insbesondere auch der
Wirtschaftsboom der letzten Jahrzehnte zunichte gemacht haben.
100% real Fake. |
Für
angeblich stolze 6 Milliarden Euro wird im Zentrum eine neue
'Altstadt'-Kulisse aus dem Boden gestampft. Es wird geklotzt und
nicht gekleckert. Das Rezept lautet sinngemäß: erst alles abreißen
und dann im Stile der Ming-Dynastie wieder aufbauen. Die wuchtige
Neuauflage der Stadtmauer steht schon. Innen drin wird fleißig
abgerissen, umgesiedelt und neugebaut. Es werden also alte Häuser abgerissen,
um neue Häuser zu bauen, die älter aussehen sollen als die alten
Häuser, die man abgerissen hat. Bisher wirkt das Ganze noch ziemlich
provisorisch. Etwa wenn das beschauliche Altsdtadtgässchen plötzlich
in eine Trümmerlandschaft übergeht oder eine Ansammlung von
Siebziger-Jahre-Wohnblocks das 'historische' Flair entzaubert. Doch
selbst angenommen, die Makel wären beseitigt, würde mir diese
Altstadt vermutlich noch immer wie die Kulisse eines billigen
chinesischen Historienschinkens erscheinen, die zu einem
Sight-Seeing- und Shopping-Paradies umfunktioniert wurde.
Höhlenkunst. |
Doch
glücklicherweise hat Datong noch mehr zu bieten. Nämlich in erster
Linie einen Status als Transportknotenpunkt zu den umliegenden
Attraktionen, die auf jeden Fall einen Besuch lohnen. Darunter ein an
einer Felswand hängendes Kloster, die größte Holzpagode der Welt
und die Welterbestätte der Yungang-Grotten, einem System aus
buddhistischen Höhlentempeln aus der Dynastie der Nördlichen Wei.
Räucherwerk. |
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