Sonntag, 9. April 2017

Kapitel 2 - Datong(Shanxi): Denkmalschutz mit der Abrissbirne

Die Weiterreise nach Datong erwies sich als längere Odyssee mit glücklichem Ausgang. Wie oben bereits angedeutet erwies sich das Vorspiel zu meiner ersten Bahnfahrt in China als etwas turbulent. Ich hatte schon von vornherein mehr Zeit eingeplant als ich für nötig hielt, da ich das Ticket bereits besaß und glaubte, alles Weitere würde bequem von statten gehen. Am Ende erwies sich diese zusätzlich eingeplante Zeit als entscheidend. Ich erreichte etwa 5 Minuten vor Abfahrt und reichlich verschwitzt meinen Sitzplatz im Zug. Ich will an dieser Stelle nicht zu tief ins Detail gehen, was die Gründe für die Verzögerung angeht. Kurz gesagt bestanden sie in einer Mischung aus babylonischem Sprachengewirr, meiner Unerfahrenheit und der Vorliebe der chinesischen Behörden mehrfach Personen, Gepäck und Dokumente zu überprüfen. Die Zugfahrt an sich gestaltete sich dann recht angenehm, auch wenn die Verhältnisse natürlich etwas beengt waren. In den 7 Stunden gemächlicher Bahnfahrt machten es sich die Chinesen bequem, schwatzten, spielten laut kitschige Musik und verzehrten ihr mitgebrachtes Essen, das sogar mit dem Fremden geteilt wurde. Wann erlebt man sowas schon mal auf einer Fahrt mit der deutschen Bahn? Im Vergleich zu deutschen Zügen brauchen chinesische auch deutlich mehr Personal. Jeder Waggon hat eine eigene Service-Kraft, die nebenbei den Müll einsammelt, durchfegt und den nächsten Halt ansagt.

Auf dem Weg nach Datong.
 Draussen vor dem Fenster zog die Provinz Shanxi vorbei. Meine spontanen Eindrücke von Shanxi lassen sich spontan mit drei Adjektiven umschreiben: kalt, karg und knochentrocken. Die vorherrschende Farbe ist Braun in unterschiedlichen Schattierungen. Ohne Zweifel hat es in Shanxi während der früheren Kaiserzeit glanzvolle Epochen gegeben, doch heute scheint die Region in erster Linie vom Kohleabbau geprägt zu sein. Der Zug rollt vorbei an qualmenden Schloten und ärmlich wirkenden, staubigen Siedlungen, die aus einförmigen Bauklötzchen-Häusern bestehen. Vielleicht wirkt die Szenerie ja im Sommer etwas einladender, wenn ein paar Blätter an den dürren Bäumen hängen und die Felder nicht gerade brach liegen. Der März zählt eher noch zum Winter.

Lovely Datong.
Nach der Ankunft in Datong gerate ich dann in eine Situation, die ich auf der Reise noch des Öfteren erleben werde. Ich stehe schwerbepackt am (Bus)-Bahnhof, habe keine Orientierung und niemanden um mich herum, der versteht, was ich sage. Dabei erscheint die Sache dieses Mal sehr einfach. Ich habe bewusst eine Unterkunft gebucht, die nur idiotensichere 50 Meter vom Bahnhof entfernt liegt, damit ich nachts nicht durch eine fremde Stadt irren muss. Leider habe ich Name und Adresse der Unterkunft nicht auf Chinesisch und der Kartenausdruck auf der Buchungsbestätigung erweist sich als äußerst unpräzise. Ich versuche also meine Situation ein paar Taxi-Fahrern zu erklären. Wir kommunizieren per Smartphone-Übersetzungsprogramm. Nach einer ermüdenden halben Stunde bin ich noch immer so klug als wie zuvor, habe aber mehrfach Angebote für Touren zu den einschlägigen Sehenswürdigkeiten erhalten. Einer schicksalhaften Fügung sei Dank erspäht einer von meinen geschäftstüchtigen Freunden doch noch die Leuchtreklame der gsuchten Unterkunft. Sie liegt in Sichtweite und ist deutlich in lateinischen Buchstaben ausgeschildert. Das nennt man wohl einen spätabendlichen Fail.

Blick auf die 'Altstadt'.
Was gibt es zu Datong zu sagen? Nun Datong machte einen seltsamen Eindruck auf mich. Einerseits wirkt die Stadt wie der Stereotyp einer gesichtslosen Industrie-Metropole in China. Die Menschen hausen in gewaltigen, dicht aneinander gereihten Wohnsilos. Eine allgegenwärtige Dunstglocke trübt den Himmel ein und die Straßen leiden unter ständiger Verstopfung. Noch immer dominiert die geschmackvolle Funktionsarchitektur der Mao-Ära. Kurzum viel Verkehr, viel Beton und viel schlechte Luft. Doch in Datong will man sich zurückbesinnen auf seine historischen Wurzeln und das zu neuem Leben erwecken, was die Kulturevolution und insbesondere auch der Wirtschaftsboom der letzten Jahrzehnte zunichte gemacht haben. 

100% real Fake.
Für angeblich stolze 6 Milliarden Euro wird im Zentrum eine neue 'Altstadt'-Kulisse aus dem Boden gestampft. Es wird geklotzt und nicht gekleckert. Das Rezept lautet sinngemäß: erst alles abreißen und dann im Stile der Ming-Dynastie wieder aufbauen. Die wuchtige Neuauflage der Stadtmauer steht schon. Innen drin wird fleißig abgerissen, umgesiedelt und neugebaut. Es werden also alte Häuser abgerissen, um neue Häuser zu bauen, die älter aussehen sollen als die alten Häuser, die man abgerissen hat. Bisher wirkt das Ganze noch ziemlich provisorisch. Etwa wenn das beschauliche Altsdtadtgässchen plötzlich in eine Trümmerlandschaft übergeht oder eine Ansammlung von Siebziger-Jahre-Wohnblocks das 'historische' Flair entzaubert. Doch selbst angenommen, die Makel wären beseitigt, würde mir diese Altstadt vermutlich noch immer wie die Kulisse eines billigen chinesischen Historienschinkens erscheinen, die zu einem Sight-Seeing- und Shopping-Paradies umfunktioniert wurde. 

Höhlenkunst.
Doch glücklicherweise hat Datong noch mehr zu bieten. Nämlich in erster Linie einen Status als Transportknotenpunkt zu den umliegenden Attraktionen, die auf jeden Fall einen Besuch lohnen. Darunter ein an einer Felswand hängendes Kloster, die größte Holzpagode der Welt und die Welterbestätte der Yungang-Grotten, einem System aus buddhistischen Höhlentempeln aus der Dynastie der Nördlichen Wei.

Räucherwerk.




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