Sonntag, 28. Mai 2017

Kapitel 21 - Namrung (2660) - Hinanggaon (3110) - Loh (3180)

Heute ziehen Marvin und ich zusammen mit Ishwuar und Dipar weiter. Magda und Thomas beschließen etwas später loszuziehen und von der vorgesehenen Route abzuweichen. Auch wir bauen eine kleine Änderung ein. Von Namrung aus folgen wir weiter dem Budhigandaki-Fluss durch eine alpin anmutende Landschaft. Früh morgens ist die Sicht noch verhältnismäßig klar, doch einzelne Wolkenfetzen umhüllen bereits die Gipfel. Erste Vorboten für die abendliche Totalvernebelung.  

Weg nach Hinanggaon.
Auf unserer Wanderung erreichen wir nach kurzer Zeit eine Brücke, die über den Hinang-Khola führt, einen Seitenarm des Budhigandaki. Anstatt nun geradeaus weiter zu gehen und der vorgeplanten Route zu folgen, schwenken wir nach links auf den Himal-Chuli-Basecamp-Trek ein, der uns zunächst steil bergauf durch Nadelwälder und zerklüftete Felslandschaften führt. Unser Ziel ist das Kloster Hinanggaon, das auf 3110 Metern liegt und von Touristen so gut wie nie angesteuert wird. Nach dem kurzen Aufstieg wandern wir weiter über eine karge Hochebene mit ein paar verlassenen Steinhütten und einigen weidenden Rindern. Hinter einem idyllischen Wäldchen kommt schließlich das Kloster in Sicht, das am Rande eines kleinen Dorfes gelegen ist.

Eine Andeutung von Himal-Chuli.
Im Hintergrund zu sehen sind Ausschnitte des über 7000 Meter hohen Himal-Chuli-Massives. Auf dem Kloster-Komplex selbst erwarten uns ein paar nette Einblicke in den Alltag von jungen buddhistischen Mönchen. Auf dem Hof wird Cricket gespielt. Andere Nachwuchs-Mönche sitzen im Kreis zusammen und werfen Murmeln. Des Weiteren haben wir das Glück, auf einen englischsprachigen Mönch zu treffen, der uns die religiösen Darstellungen in der Haupthalle näher erklären kann. Darunter sind auch schlüprige Abbildungen, die der tantrischen Schule entstammen und sehr unzweideutige Sex-Szenen darstellen. Die Mönche verwenden solche Bilder in Verbindung mit Mantras offenbar als Meditationsobjekte. Zu sehen sind auch großformatige Fotos von pausbäckigen Grinse-Mönchen (darunter auch der Dalai Lama), die die Reinkarnationen von anderen weisen Grinse-Mönchen darstellen sollen und nach den Worten unseres Führers einen nahezu gottgleichen Status genießen. 

Vor Hinanggaon.

Ablenkung vom spirituellen Gedöns.
Der weitere Weg nach Loh gestaltet sich gemütlich. Zunächst geht es auf dem selben Weg wieder nach unten bis zu der Stelle, an der wir den Hauptweg verlassen haben. Von dort aus überqueren wir Hinang-Khola und legen eine wohlverdiente Dal-Bhat-Pause in Sho ein. Während unserer Mittagspause haben wir auch Gelegenheit den Kindern der Hausherren beim Spielen zuzusehen. Ich finde es erstaunlich, dass die Bewohner dieses Gebietes ihren Nachwuchs anscheinend frei und ungezwungen herumstreunen und sich nach Herzenslust schmutzig machen lassen. Wenn man sich die kleinen Rabauken so anschaut, könnte man wirklich meinen, sie wären gerade aus einem Erdloch geschlüpft. Die meisten deutschen Mütter würden direkt einen Herzinfarkt bekommen.

Gesunde Kinder.
Der übrige Teil des heutigen Marsches verläuft über Gelände, das auch nach europäischen Standards als flach gelten darf. Auf einem schönen, geraden Pfad laufen wir an Feldern und kleinen Gehöften vorbei. Wir beobachten die örtlichen Bauern dabei, wie sie ihre Felder bestellen. Die Methoden scheinen sich seit dem vorletzten Jahrhundert kaum verändert zu haben. Man setzt auf den eisernen Pflug, den Ochsen als Zugmaschine und die bloßen Hände beim Einsäen der Kartoffeln, die selbst auf über 3000 Metern Höhe noch zuverlässig gedeihen.

Landwirtschaft im Nepal des 21. Jahrhunderts.
Das Dorf Loh liegt eingebettetzwischen terrassierten Äckern und hochaufragenden, von dunklem Grün und erdigem Braun gefärbten Berghängen. Auf einem Hügel über dem Dorf thront ein buddhistisches Kloster, in dem einige dutzend Mönche wohnen. Die Kulisse hinter dem Kloster bildet die weiße Wand des Manaslu-Himal-Massives mit seinem etwa 8160 Metern hohen Hauptgipfel, den wir an diesem Tag zum ersten Mal auf unserer Tour erblicken sollten. Allerdings ist es bereits Nachmittag und die Sicht von einem dichten Wolkenschleier verhüllt. Es ist eine Art Gesetz hier oben: Während der Morgenstunden sind die Ausblicke zumeist klar. Gegen Mittag hin fängt es an, sich einzutrüben, und am Abend herrscht dann komplette Vernebelung.

Loh.
Dennoch wird mir dieser Tag in Loh in guter Erinnerung bleiben. Während Marvin es vorzieht, den Nachmittag in der Unterkunft zu bleiben, mache ich mich trotz der schlechten Sicht auf den Weg, das Kloster auf dem Hügel zu erkunden. Das beschert mir sowohl eine neue kulinarische, als auch eine neue kulturelle Erfahrung. Die kulinarische Erfahrung erwartet mich hinter dem Klosterkomplex, wo eine Gruppe aus Tibetern auf zwei großen Kesseln über offenem Feuer das Essen für die Mönche zubereitet. Sie bieten mir großzügigerweise tibetischen Tee und eine weitere Spezialität an, die ich noch nicht kenne. Da es in den vorherigen Beiträgen noch nicht erwähnt wurde: tibetischer Tee ist kein Tee m eigentlichen Sinn, sondern ein salziges Gebräu aus Joghurt, Butter und Milch, das sehr herzhaft schmeckt. Gießt man diesen 'Tee' auf ein Gemisch aus Mehl und knetet die Mischung ordentlich durch, entsteht Champa, ein typisch tibetisches Gericht. Champa zu essen fühlt sich an als würde man rohen Brotteig verzehren und genauso schmeckt es auch. Glücklicherweise gibt es Chili-Soße dazu.

Champa futtern.
Nachdem ich die freundlichen Tibeter verlassen habe, komme ich wieder an der Haupthalle vorbei, die ich zuvor verlassen vorgefunden habe. Inzwischen ist dort eine 'Puja', eine Verehrungszeremonie, im Gange, die für den europäischen Beobachter etwas skurril anmuten mag. Leider verfüge ich über zu wenig Hintergrundwissen, um adäquate Interpretationen zu dem beobachteten Prozedere liefern zu können. Doch ein großartiges Spektakel ist es allemal. Die Mönche hocken versammelt in ihrer großen Halle. Die Höherrangigen von ihnen auf erhöhten Sitzen. Verschiedene Mantras werden der Reihe nach gelesen. Opfergaben werden dargebracht und unter den Anwesenden verteilt. Darunter Cookies, Reiskuchen und eine Art 'heiliges Wasser', das verdächtig nach Schnaps schmeckt.

Puja.
Dazwischen wird ordentlich Lärm gemacht. Jeder Mönch hat ein Instrument an seinem Platz liegen und sobald ein Schritt in der Zeremonie abgeschlossen ist, fangen alle gleichzeitig an, darauf zu spielen oder besser gesagt: Geräusche zu erzeugen. Zum Ensemble gehören Trommeln, Glocken, metallene Tröten, Muschelhörner, die wie langgezogene Kuhfürze klingen, und Gongs aus Blech. Ich überlasse es mal der Phantasie des Lesers, sich auszumalen, wie lieblich sich diese Kombination anhört. Dazu werden dann auch noch - wie bei einer Hochzeit - Samenkörner in die Luft geworfen. Nebenbei verfuttern die Anwesenden ihre Opfergaben. Von meiner Anwesenheit lassen sie sich nicht im Geringsten stören. Ich darf sogar Kekse mitessen sowie Fotos schießen und bekomme eine handvoll heiliges Wasser spendiert. Bestimmt steckt hinter all diesen Gesten eine tiefgründige Symbolik, die ich nur zu gerne verstehen würde. Doch gerade die Tatsache, dass ich völlig unvorbereitet auf diese Zeremonie getroffen bin, hat den besonderen Reiz dieser Erfahrung ausgemacht.  




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